Befremdliches, daß unerachtet aller Einstimmung selbst
der gemeinen Vernunft mit derselben dennoch ein Ver¬
dacht entspringen muß, daß vielleicht bloß hochfliegende
Phantasterei insgeheim zum Grunde liege, und die Natur
in ihrer Absicht, warum sie unserem Willen Vernunft
zur Regiererin beigelegt habe, falsch verstanden sein
möge. Daher wollen wir diese Idee aus diesem Gesichts¬
punkte auf die Prüfung stellen.
In den Naturanlagen eines organisierten, d. i. zweck¬
mäßig zum Leben eingerichteten Wesens nehmen wir es
als Grundsatz an, daß kein Werkzeug zu irgend einem
Zwecke in demselben angetroffen werde, als was auch
zu demselben das schicklichste und ihm am meisten an¬
gemessen ist. Wäre nun an einem Wesen, das Vernunft
und einen Willen hat, seine Erhaltung, sein Wohl¬
ergehen, mit einem Worte seine Glückseligkeit der
eigentliche Zweck der Natur, so hätte sie ihre Veran¬
staltung dazu sehr schlecht getroffen, sich die Vernunft
des Geschöpfs zur Ausrichterin dieser ihrer Absicht zu
ersehen. Denn alle Handlungen, die es in dieser Absicht
auszuüben hat, und die ganze Regel seines Verhaltens
würden ihm weit genauer durch Instinkt vorgezeichnet
und jener Zweck weit sicherer dadurch haben erhalten
werden können, als es jemals durch Vernunft geschehen
kann; und sollte diese ja obenein dem begünstigten Ge¬
schöpf erteilt worden sein, so würde sie ihm nur dazu
haben dienen müssen, um über die glückliche Anlage
seiner Natur Betrachtungen anzustellen, sie zu bewun¬
dern, sich ihrer zu erfreuen und der wohltätigen Ursache
dafür dankbar zu sein, nicht aber, um sein Begehrungs¬
vermögen jener schwachen und trüglichen Leitung zu
unterwerfen und in der Naturabsicht zu pfuschen; mit
einem Worte, sie würde verhütet haben, daß Vernunft
nicht in praktischen Gebrauch ausschlüge und die
Vermessenheit hätte, mit ihren schwachen Einsichten ihr
selbst den Entwurf der Glückseligkeit und der Mittel,
dazu zu gelangen, auszudenken; die Natur würde nicht
allein die Wahl der Zwecke, sondern auch der Mittel
selbst übernommen und beide mit weiser Vorsorge ledig¬
lich dem Instinkte anvertraut haben.
In der Tat finden wir auch, daß, je mehr eine kulti¬
vierte Vernunft sich mit der Absicht auf den Genuß des
Lebens und der Glückseligkeit abgibt, desto weiter der