Zur Lehre vom Gemüt.
83
evolvieren vermöchte; keines der Elemente hebt sich hoch ge¬
nug, um ein klares Bewußtsein zu ergeben, aber nichts¬
destoweniger treten sie unter sich in Wechselwirkung, heben
sich und hemmen sich, und nur dieses, den Ton der Gemüts¬
stimmung bedingende Resultat ihres Zusammen¬
treffens gelangt uns zum Bewußtsein, daher die Unklar¬
heit, welche der Gemütsstimmung immer anklebt und
das Unvermögen, sich darüber selbst befriedigende
Rechenschaft geben zu können; 3. endlich ist die Gemüts¬
stimmung noch das Ergebnis vieler schwacher Einzelgefühie
meist formeller Art, die unbemerkt auftauchen und wieder
zurücksinken, jedes an und für sich unvermögend den Zustand
des Bewußtseins nachhaltig zu alterieren, aber in ihrer Summe
mächtig genug, das Seelenleben für einige Zeit in einer be¬
stimmten Temperatur zu erhalten; es summieren sich nämlich
hier kleine gegenseitige Hemmungen oder Begünstigungen
der sich drängenden Vorstellungen in der Art, daß
gleiche Gefühlstöne zu einem stärkeren Gesamtton ver¬
schmelzen, während hingegen entgegengesetzte Gefühlstöne
sich paralysieren.“
Was das in Punkt 3 Entwickelte betriift, so haben wir
schon über die Fabel des „Komplexes von sich verschmelzen¬
den oder aber sich paralysierenden Einzelgefühlen“ das Nötige
gesagt; diesen Punkt können wir also hier übergehen, sofern
„Einzelgefühl“ in der Tat nur Gefühl (= Lust oder Unlust)
bedeuten soll; denn von einem sich Verschmelzen und Para¬
lysieren kann einfach deshalb nicht die Rede sein, weil mehrere
Gefühle niemals zugleich im Bewußtsein sich finden, und des¬
halb schon ein Verschmelzen zu einem Gesamtgefühl {„Ge¬
samtton“) nicht statthaben kann. Sofern aber der Gedanke
darin zum Ausdruck kommen soll, daß sich das Gefühl (der
sogenannte „Grundton“) der Stimmung erkläre aus dem zu¬
sammen auftretenden verschiedenen Gegenständlichen des
Bewußtseinsaugenblicks, oder, herbartisch ausgedrückt, aus
den verschiedenen, in gegenseitiger Hemmung und Begünsti¬
gung sich findenden „Vorstellungen“, die eben „kollektiv“,
wie wir wissen, das Gefühl des Augenblicks bedingen, — so
ist in Punkt 3 tatsächlich nur wiederholt, was in Punkt 1
6*