VI
Zur Lehre vom Gemüt.
Einzelwesen als dessen Bestimmtheitsbesonderheit ge¬
zeichnet wird. Das Einzelwesen, das empfindet, fühlt und vor¬
stellt, ist aber nicht etwa jenes bekannte Gegebene, das wir
„Mensch“ nennen; auf dieses sich in der Not zurückznziehen,
würde daher jenen Psychologen kein Heil bringen.
Denn der Mensch ist gar kein Einzelwesen, auch nicht
etwa ein aus einfachen Einzelwesen, wie das Ding aus Atomen,
bestehendes Einzelwesen, sondern nur die stetige Wirkens¬
einheit der Einzelwesen „Leib“ und „Seele“. Läßt sich aber
der Mensch nicht als Einzelwesen begreifen, so kann auch
nicht von dem empfindenden, fühlenden und vorstellenden
Menschen die Rede sein, denn nur Einzelwesen kann
empfinden, fühlen und vorstellen. Jedoch zum Menschen, dieser
stetigen Wirkenseinheit, gehört ohne Frage solches Einzel¬
wesen, nämlich die Seele, und das Gegebene, das in seiner
Beziehung zu dem Einzelwesen „Seele“ dessen „Empfindung“
oder „Gefühl“ oder „Vorstellung“ heißt, ist in diesen Worten
eben als Bestimmtheitsbesonderheit des Einzelwesens
„Seele“ begriffen.
Die vorliegende Schrift, die sich mit dem besonderen
Stück des Seelenlebens, das wir „Gemüt“ nennen, beschäftigt,
hätte daher nicht den festen Boden der Tatsachen unter den
Füßen, wenn sie nicht ausginge von der Voraussetzung des
Einzelwesens „Seele“, wie es mit dem Leibe in einer
stetigen Wirkenseinheit innig verbunden sich findet, in der
AVirkenseinheit, die wir „Mensch“ nennen.
Greifswald, 1. Oktober 1910.
J. Rehmke.