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Zur Lehre vom Gemüt.
Wenn es sich nun um die Einteilung des Gefühlsbegriffes
handelt, die ja Schwierigkeiten zu bieten scheint, so ist in
erster Linie festzulegen, in welchem der zwei Sinne das Wort
Gefühl zugrunde gelegt sein soll. Meint man das Gefühl im
Sinne der bloß zuständlichen Bestimmtheitsbesonderheit, so ist
die Einteilung einfach und klar: Lust und Unlust sind die
beiden Hauptglieder, von denen wiederum ein jedes die Ein¬
teilung nach dem Grade zuläßt Eine andere Einteilung
dieses Gefühlsbegriffes ist nicht möglich, und wrenn man da¬
nach auch andere Einteilungen des Gefühls meinte ausführen
zu können, so verfiel man diesem Scheine nur aus dem Grunde,
weil man diesem Gefühlsbegriffe, ohne sich darüber klar zu
werden, jenen anderen Gefühlsbegriff unterschob. Man faßte
dann entweder das „maßgebende“ Gegenständliche im Be¬
sonderen ins Auge, wie z. B. bei der Einteilung des Gefühls
in „sinnliches“ und „ideelles“, in „niederes“ und
„höheres“ Gefühl,1) in Inhalts- und Beziehungsgefühle;2)
oder man hatte im Besonderen das „begleitende“ Gegen¬
ständliche im Auge und sprach nunmehr vom Gefühl der Be¬
klemmung und der Erleichterung, der Kraft und der
Schwäche, der Spannung und der Lösung, oder aber man
richtete das Augenmerk auf „maßgebendes“ und „be¬
gleitendes“ Gegenständliches zusammen und kam dann zu
der Einteilung des Gefühls in „vages“ und „fixes“3) und
zu Einteilungsgliedern wie „Gefühl der Langeweile, der Be¬
sorgnis“ u. a. m.
Ob es je gelingen werde, eine einwmndsfreie Tafel der
„Gefühle“ zu gewinnen, mag berechtigtem Zweifel begegnen;
dem wirren Zustande aber, in dem sich heute die Psychologie
gerade in dieser Frage befindet — ich weise zum Beleg nur
hin auf die Versuche, das „Gefühl“ einzuteilen und die Ein¬
teilungsglieder aufzuzählen, die von Nahlowsky und A. Bain
gemacht sind, — diesem wirren Zustande in etwas abzuhelfen,
*) Nahlowsky, „Das Gefühlsleben“, § 14; Th. Ziegler, „Das Ge¬
fühl“, S. 113.
2) Lehmann, a. a. 0. S. 338.
3) Volkmann, Lehrb. der Psychol., 2. Auf!., II, § 132,