Zur Lehre vom Gemüt.
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sammengesetzt oder gemischt sei.1) Der Bergsteiger hat
während der Besteigung zweifellos Lust und Unlust, dies
aber nicht zugleich, sondern im Wechsel Lust oder Unlust.
Steht er in dem einen Augenblicke auf schmalem Grate, tief
unter sich den gähnenden Abgrund, aber im strammen Be¬
wußtsein voller Sicherheit, so hat er sicherlich großes Lust¬
gefühl, wobei die Gewißheit, die gefährlichen Stellen hinter
sich zu haben, oft eine große Eolle spielen kann; indes
von einer Unlust ist in diesem Augenblicke schlechterdings
nichts zu spüren, auch die „Gefahr“, die ihn beim Erklimmen
des Grates wohl geschreckt haben mag, liegt jetzt ja hinter
ihm. Als vorher aber diese Gefahr ihm gegenwärtig war, als er
mit Fingern und Fußspitzen in die Schroffen sich einklammerte
und sich emporschob, unter ihm den nach ihm schnappenden
Tod, gab es auch in dem Augenblicke für ihn kein „ge¬
mischtes Gefühl“, sondern zweifellos nur ein einfaches, nämlich
das Unlustgefühl. Zu demselben Ergebnis gelangt man bei
der Zergliederung der anderen Beispiele: in allen ist zwar
der Wechsel, aber nicht ein Zugleich von Lust und
Unlust festzustellen.
Die durch Tatsachen niemals zu bestätigende Behaup¬
tung, daß, wie Lehmann es ausdrückt, „Unlust mit Lust voll¬
ständig verschmelze“, ist ersichtlich nur die notwendige Frucht
der Hypothese von den an jegliches besondere Gegenständ¬
liche des Bewußtseins gebundenen besonderen „Gefühlstönen“.
Denn, da man einerseits zugibt, daß jeder Bewußtseinsaugen-
blick immer nur ein Gefühl aufweise und andererseits sich
auch darüber klar ist, daß der Bewußtseinsaugenblick stets
eine Mehrzahl von besonderem Gegenständlichen in Wahr¬
nehmung und Vorstellung aufweist, so läßt sich nach jener
Hypothese die Annahme gar nicht umgehen, daß das tatsäch¬
lich eine Gefühl des Augenblicks doch niemals ein einfaches,
sondern immer aus „Elementargefühlen“ oder „Gefühlstönen“
„ gemischt “, und zwar in vielen Fällen, da doch das
verschiedene Gegenständliche eines Augenblickes nicht
immer gleichartige „Elementargefühle“ mit sich führe,
J) Siehe Rehmke, Lehrbuch der allgem. Psychologie, 2 Aufl., §34.