16
Zur Lehre vom Gemüt.
Wir haben schon darauf hingewiesen, daß sich die zuständ-
liche Bestimmtheitsbesonderheit in Ansehung des durch sie
bestimmten Gegebenen von der gegenständlichen Bestimmt¬
heitsbesonderheit unterscheidet, indem ihr Gegebenes auch an
und für sich schon der Seele Zugehöriges ist, während dies
für das Gegebene der gegenständlichen Bestimmtheitsbeson¬
derheit nicht zutrifft. Indes nicht nur diese Verschiedenheit
allein besteht zwischen den beiden Bestimmtheitsbesonderheiten
der Seele, dem Gefühl und (sagen wir kurz) der Wahrnehmung.
Betrachten wir die gegenständliche Bestimmtheitsbesonder¬
heit eines Seelenaugenblickes in betreff des durch sie bestimmten
Gegebenen, so zeigt sich, daß die Wahrnehmung stets Mehreres
befaßt d, h. daß die Seele stets Mehreres als ihre Wahr¬
nehmung hat, also stets Mehreres wahrnimmt, z. B stets Kaum
und Farbe, meistens auch mehreres Räumliches usf.
Fragen wir nun, ob dasselbe auch von der zuständlichen
Bestimmtheitsbesonderheit und des durch sie bestimmten Ge¬
gebenen gelte. Wäre es der Fall, so hieße dies, daß die Seele
Mehreres in einem Augenblicke, also zugleich „fühlen“ d.i. Lust
und Unlust haben könne.
Die überlieferte Meinung hält dafür, daß es möglich sei.
Alfred Lehmann vertritt in seinem Buche „die Hauptgesetze
des menschlichen Gefühlslebens“ die Ansicht, daß Lust und
Unlust zugleich dem Bewußtsein eigen sein können, er meint
zum Beleg „sichere Tatsachen“ (S. 260) vorlegen zu können,
setzt aber hinzu, daß er zur Lösung des „Problems“, wie
solche Tatsachen möglich seien, „keinen Beitrag zu geben
vermöge“. Lehmann mag uns hier als Vertreter der über¬
lieferten Meinung gelten, die wir der Prüfung unterziehen
werden.
Lehmann geht von der Voraussetzung aus, daß „die Ge¬
fühlstöne Lust und Unlust“ niemals als „selbständige
Erscheinungen“, sondern immer nur an „Erkenntniselemente
(Empfindungen, Vorstellungen und Vorstellungskomplexe)“,
also an Bestimmtheitsbesonderheiten des gegenständlichen
Bewußtseins „gebunden“ auftreten (S. 56). Wir stimmen ge¬
mäß dem von uns soeben Entwickelten insoweit zu, daß wir
uns niemals als allein zuständliches, sondern immer als zu¬