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Zur Lehre vom Gemüt.
Dessen war sich schon Herbart bewußt, indes seine eigen¬
tümliche Auffassung von der Beziehung des Zuständlichen im
Bewußtsein zu dem Gegenständlichen, seinen „Vorstellungen“,
ließ ihn das Besondere des „Affektes“ in einem eigenartigen
„Verhältnisse“ der gegenwärtigen oder „bewußten“ Vorstellungen
suchen, und dies verführte ihn denn, daß er erklärte: „Es ist
unrichtig, daß die Affekte gesteigerte Gefühle seien; es gibt
ein verschiedenes Maß für Affekte und Gefühle, ja die
ersten und die anderen gehören gar nicht zusammen, wie
Art und Gattung, sondern es sind verschiedenartige,
wie wohl sehr häufig und mannigfaltig verbundene Be¬
stimmungen der Seelenzustände“.1) Herbart meint, eine
„Erklärung des Affekts“, die diesen als eine besondere Art
gegenüber dem „Gefühl“ klarstelle, „lasse sich aus den Gründen
der Mechanik und Statik des Geistes gar nicht verfehlen“.
Er weist auf die Einteilung der Affekte in rüstige und
schmelzende2) oder „wie Carus sie bisher nennt, ent¬
bindende und beschränkende Affekte“ hin und bemerkt
weiter: „Die Einteilung selbst gibt hier das Hauptmerkmal
des eingeteilten Begriffs zu erkennen; die Affekte nämlich sind
Gemütslagen, worin die Vorstellungen beträchtlich von
ihrem Gleichgewichte entfernt sind und zwar dergestalt,
daß die rüstigen Affekte ein größeres Quantum des wirk¬
lichen Vorstellens ins Bewustsein bringen, als darin be¬
stehen kann, die schmelzenden ein größeres Quantum daraus
verdrängen, als wegen der Beschaffenheit der vorhandenen
Vorstellungen daraus verdrängt sein sollte“. Aber nicht die
Affekte sollen hierbei als die „Kräfte, von denen die Vor¬
stellungen sich regieren lassen“, gefaßt werden, nicht sie sind
„das Bindende und Entbindende, sondern wenn durch gewisse
Vorstellungen andere entbunden werden, so daß sie ihre
statischen Punkte weit übersteigen oder wenn andere Vor¬
stellungen unter diese herabgedrückt werden, alsdann be¬
kommt die hieraus entspringende Gemütslage die Benennung
*) Her hart, „Psychologie als Wissenschaft“, Ausgabe von Kehr¬
bach 1892, S. 76 f.
2) Kants „athenische und asthenische Affekte“.