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Man überschätzt Kunst und abstraktes Den¬
ken in ihrer geschichtlichen Bedeutung. So
wesentlich sie in ihren großen Zeiten gewesen
sind, es hat immer Wesentlicheres gegeben.
In der Kunstgeschichte ist die Bedeutung
Grünewalds und Mozarts nicht zu überschät¬
zen. In der wirklichen Geschichte des Zeitalters
Karls V. und Ludwigs XV. denkt man gar
nicht an ihr Vorhandensein. Es mag sein, daß
ein großes historisches Ereignis einen Künstler
aufgeweckt hat. Das Umgekehrte ist nie der
Fall gewesen.
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Ein abstraktes Ideal von Gerechtigkeit geht
durch die Köpfe und Schriften aller Menschen,
deren Geist edel und stark und deren Blut
schwach ist, durch alle Religionen, durch alle
Philosophien, aber die Tatsachenwelt der Ge¬
schichte kennt nur den E r f o 1 g, der das R echt
des Stärkeren zum Recht aller macht. Sie geht
erbarmungslos über die Ideale hin, und wenn
je ein Mensch oder Volk auf die Macht der
Stunde verzichtet hat, um gerecht zu sein, so
war ihm wohl der theoretische Ruhm in jener
zweiten Welt der Gedanken und Wahrheiten
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