Von app bis wiki
-Neue Chancen und Herausforderungen in der Vermitt¬
lung REGIONALGESCHICHTLICHER THEMEN -
Christine van Hoof
Das World Wide Web - und mit ihm die Neuen Medien - haben in den letzten Jah¬
ren fast alle Arbeitsbereiche und einen großen Teil unseres privaten Lebensberei¬
ches tiefgreifend verändert. Eine Entwicklung, die auch vor den Geschichtswissen¬
schaften und ihrer Didaktik nicht halt gemacht hat1. Das Internet bietet heute die
Möglichkeit, schnell und ohne den Schreibtisch zu verlassen, online in allen gro¬
ßen Bibliotheken der Welt Fachliteratur zu recherchieren. Riesige Datenbanken
lassen sich nach sofort am Bildschirm lesbarer Literatur durchforsten, Universitäts¬
bibliotheken bieten Zeitschriftenartikel elektronisch an und fachspezifische Bildda¬
tenbanken erleichtern die Vorbereitung von Lehrveranstaltungen und Publika¬
tionen. Viel einfacher als noch im ausgehenden 20. Jahrhundert ist es für Wissen¬
schaftler geworden, Kontakte über mails, im Intranet oder in Videokonferenzen zu
pflegen. In dieser schönen neuen digitalen Welt gibt es aber auch Schattenseiten,
denn die Funktion eopy andpaste kann bei online zur Verfügung stehenden Texten
- wie in diesem Jahr bei verschiedenen Skandalen deutlich wurde - die Hemm¬
schwelle für wissenschaftlich nicht korrektes Verhalten herabsetzen. Gleichzeitig
ist es im digitalen Zeitalter aber auch möglich geworden, eben solche Textdateien
mit spezieller Software auf nicht zitierte, abgeschriebene Stellen hin schneller und
genauer zu untersuchen, als das ein einzelner Rezensent je könnte. Fluch und Se¬
gen liegen hier offenbar sehr dicht nebeneinander.
Die Möglichkeiten, über das Web fachwissenschaftliche historische Inhalte zu
konsumieren, haben sich unendlich vervielfältigt. Allerdings gilt es für die Nutzer,
zunächst Pfade zu dieser Fülle an Informationen zu finden, stringente Such¬
techniken zu erlernen und die gefundenen Informationen danach wissenschaftlich
produktiv weiter zu verarbeiten. Die grundsätzlichen historischen Methoden zur
Lösung von Forschungsfragen haben ihre Gültigkeit hierdurch nicht verloren, es
sind lediglich neue Instrumente hinzugetreten, deren Gebrauch erlernt werden
muss. Elektronisch erschlossene Quellen unterliegen derselben Nachweispflicht
wie analog vorliegendes Material, sie müssen ebenso genau auf ihre Zuverlässig¬
keit hin überprüft werden. Aus der Digitalisierung von Quellen entstehen manch¬
mal sogar zusätzliche Probleme. Ein digitaler Scan, der eine Seite aus einer schrift¬
lichen Quelle als photographisches Abbild wiedergibt, unterscheidet sich grundle¬
gend von einem Scan derselben Seite, der über eine Texterkennungssoftware gene¬
riert wurde, da nicht alle Wörter korrekt erkannt werden und eine abschließende
Kontrolle notwendig ist. Die Verlässlichkeit eines digitalisierten Quellentextes
muss also genau geprüft werden.
Eine Wertung und Gewichtung aller zu einer bestimmten Forschungsfrage her¬
angezogenen Quellen kann auch in Zukunft nur der Historiker selbst vornehmen,
1 Waldemar GROSCH, Das Internet als Raum historischen Lernens - eine Bestandsauf¬
nahme, in: Historisches Lernen im Internet. Geschichtsdidaktik und Neue Medien, hg.
von Uwe DANKER/Astrid Schwabe, Schwalbach i. Ts. 2008, S. 13-33.
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