der öffentlichen Diskussion das Bewusstsein für die massiven Transparenzdefizite.
Börsenkurse, die von IT-Systemen und nicht von Menschen gemacht werden und
deren Kontrolle und Struktur wie auch ihre Auftraggeber unbekannt bleiben, sind
ein Beispiel. Nachrichten über verschwundene Gelder in Höhe von 50 Millionen €
bei einer Bank, die mit der IT erklärt werden, zeigen dieses Transparenzdefizit
ebenso wie die Hilflosigkeit gegenüber dem Facebook-Mobbing. Das Internet
scheint Diktaturen ins Wanken zu bringen. Und es stellt sich die Frage nach der
Transparenz des Internet als Meinung machendes Medium, erinnert sei hier auch
an den Verlauf der Affäre Guttenberg im Jahr 2011.
Weil derzeit gerne von der Unvergesslichkeit des Internet gesprochen wird, ist
das Bewusstsein für die ungelöste dauerhafte Lesbarkeit immer noch rudimentär
ausgebildet. Gerade sie trifft die Archive, aber auch die Gesellschaft in ihrem
Kern, wenn sie auch in Zukunft, mit einem historisches Gedächtnis leben möchte.
Digitalisierung verändert auch die Arbeitsweise der Verwaltung. Es sind nicht
nur die E-Mails, die eine sehr flüchtige Kommunikationsform darstellen und häu¬
fig nicht zu den Akten genommen werden. Ihre Dimension ist beeindruckend, in
der Nürnberger Stadtverwaltung hat man aktuell pro Jahr drei Millionen E-Mails
gezählt, ln vielen Verwaltungsbereichen begegnen uns so genannte hybride Akten,
das Verwaltungshandeln ist hier auseinandergerissen und liegt ohne direkt erkenn¬
bare Verbindung teilweise elektronisch und teilweise in analoger Form vor.
Es gibt eine Vielzahl digitaler Fachanwendungen, die archivwürdige Inhalte
produzieren. Auch in der Saarbrücker Stadtverwaltung ist dies der Fall, bei der
Stadt München hat man über 400 Fachprogramme erfasst. Als weiterer Schritt
werden in den nächsten Jahren im Zuge der Einführung von Dokumentenmanage¬
mentsystemen (DMS) große Schritte in Richtung einer papierlosen Verwaltung er¬
folgen. Die dauerhafte Lesbarkeit digitaler Unterlagen markiert immer noch eine
technische Herausforderung. Sie steht nicht nur für eine technische Veränderung,
sondern markiert eine Revolution der bestehenden Organisationsstrukturen. So ver¬
wundert es auch nicht, dass die Einführung solcher Systeme ressourcenintensiv ist,
bei der Stadt Nürnberg wurde dazu eine Projektgruppe mit über 20 Mitgliedern aus
Organisationsabteilung, IT und Stadtarchiv gebildet. Neben der Einführung und
disziplinierten Umsetzung von Aktenplänen müssen die Archive, um eine zukünf¬
tige Archivierung zu ermöglichen, vor der Einführung der Systeme Metadatenkata¬
loge erarbeiten. Darüber hinaus muss eine Infrastruktur und ein Prozessablauf für
eine zukünftige Langzeitarchivierung entwickelt werden. Die Herausforderungen,
die hier auf die Verwaltung zukommen, sind enorm. Improvisieren endet im digita¬
len Desaster; die Stadt München hat gehandelt und für die Langzeitarchivierung 5
Millionen € an Sach- und Personalkosten bereitgestellt. Die Dimension dieses Pro¬
zesses zu einem künftig virtuellen Archiv wird die Methoden, die Organisations¬
formen und das Selbstverständnis der Archive nachhaltig verändern und sich auf
ihre Prioritätensetzung auswirken.
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