für die Standortwahl war der Faktor Wasserkraft, die der in der in Nähe des Blies-
knies gelegene „große Weiher“ lieferte, dessen ganzjährig verfügbare Staukraft
ausreichte, um mit Wasserrädern die Blasebälge zu bewegen und die Schmelztem¬
peratur in den Öfen so hoch zu halten, dass das Eisen verflüssigt und gegossen
werden konnte. Mit der Übernahme durch die Familiengesellschaft der Stumms,
die im Hunsrück bereits im 18. Jahrhundert ein kleines Imperium von Hütten und
Hämmern geschaffen hatten, begann in Neunkirchen die „Eisenzeit“, wenngleich
die Hütte zunächst nur 46 Arbeiter beschäftigte. Allerdings blieb die Produktion
bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts noch relativ „bodenständig“: sie nutzte die in
den nahen Wäldern gewonnene Holzkohle als Brennmaterial, das Wasser der Bä¬
che und Weiher Neunkirchens als Antriebskraft und die in der Umgebung der Hüt¬
te geschürften Erze als Rohmaterial.
1824 fanden bereits 65 Schmelzer, Former, Gießer, Hammerschmiede und sons¬
tige Tagelöhner Beschäftigung; die preußische Verwaltung beklagte allerdings den
Umstand, dass seit sechs bis acht Jahren keine Produktionssteigerung zu verzeich¬
nen sei, da das Werk wegen der französischen Zölle [...] nicht den möglichen und
wünschenswerten Absatz habe". Wenige Jahre später genehmigte die erste Permis-
sions-Urkunde für das Hüttenwerk, ausgestellt vom Preußischen Oberbergamt zu
Bonn am 11. April 1828, auf der Ober- und Unterschmelz jeweils den Betrieb von
einem Hochofen, einem Erz- und Schlackenpochwerk, einem Kalksteinhammer
und zwei Röstöfen; auf der Unterschmelz standen zudem drei Hämmer sowie eine
Sägemühle11 12. Die Industrialisierung Neunkirchens schritt unaufhaltsam voran:
1841 hatte das Eisenwerk 350 Arbeiter, deren Zahl bis 1854 auf 950 stieg13, und
suchte 1845 beziehungsweise 1846 um die Genehmigung zur Errichtung des zwei¬
ten und dritten Hochofens auf der Unterschmelz nach. Die sich darin andeutende
gesteigerte Produktivität im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts wurde vor allem
durch den Einsatz von Steinkohle als Brennmaterial im Hochofenprozess, durch
die Einführung des Puddlingsverfahrens und die Verwendung von Dampfmaschi¬
nen anstelle der alten Wasserräder ermöglicht.
Die Bevölkerungsentwicklung Neunkirchens ging in dieser Periode vergleichs¬
weise moderat vonstatten. Die Einwohnerzahl Neunkirchens und Niederneunkir-
chens (wo die Hütte lag) verdoppelte sich zwischen 1809 und 1840 von etwa 1.600
auf etwa 3.100. Der Ort war trotz der Expansion der Hütte und der Gruben noch
ländlich geprägt, das Leben seiner Einwohner wurde noch eher von agrarischen als
von industriellen Erwerbsformen dominiert. Die landwirtschaftliche Nutzung der
Blieswiesen führte wahrscheinlich auch zu jener ersten aktenkundig gewordenen
Auseinandersetzung zwischen einigen Bewohnern Neunkirchens und der Familie
Stumm. Einem Gutachten des Saarbrücker Kammerpräsidenten Röchling aus dem
Stumm in Neunkirchen. Unternehmerschaft und Arbeiterleben im 19. Jahrhundert. Bilder
und Skizzen aus einer Industriegemeinde, hg. von Richard van Dülmen und Dems., St.
Ingbert 1993, S. 115-137.
11 Vgl. Stadtarchiv Neunkirchen (künftig: StAN), Abteilung AI, Nr. 395 (Fabriken und
Hüttenwerke 1805-1858), S. 11-13 und 21-23.
12 Vgl. StAN/Depositum Saarstahl AG (künftig: Dep), Bestand Akten, 1/2/28/66 (Permissi¬
on 1828), Art. 2.
13 Vgl. StAN, Abteilung AI, Nr. 395, S. 145-147.
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