Der Mensch begann nicht erst im 20. Jahrhundert, seine Umwelt zu beeinflussen
und zu gestalten, und die Vorstellung einer bis an die Schwelle der Moderne unbe¬
schädigten Natur entspringt allenfalls romantischem Wunschdenken4. Dennoch
liegt der Schwerpunkt der Umweltgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, in denen
technische und demographische Entwicklungen Industrialisierungs- und Urbanisie¬
rungsprozesse initialisierten, die eine nie dagewesene Dynamik entfalteten und
massivste Umweltveränderungen hervorriefen. Angesichts dieser naheliegenden
Fokussierung ist es umso unverständlicher, warum die saarländische Regionalge¬
schichte die Thematik bisher fast völlig ignoriert hat5, stieg doch die Region an
Saar und Blies bis zum Ersten Weltkrieg zu einem der vier wichtigsten deutschen
Schwerindustriereviere auf. Der von der Körher-Stiftung getragene „Geschichts¬
wettbewerb des Bundespräsidenten“, der 1986/87 wenige Monate nach der Reak¬
torkatastrophe von Tschernobyl unter dem Titel „Umwelt hat Geschichte“ ausge¬
schrieben wurde, löste andernorts auch außerhalb der Schulen einen kleinen Boom
der Umweltgeschichte aus, von dem in der saarländischen Geschichtslandschaft
nichts zu spüren war6. Dies gilt weitgehend auch für die historische Forschung und
Lehre an der Universität des Saarlandes; wenn das Thema aufgegriffen wurde,
dann geschah dies meist mit außersaarländischen Bezügen7.
Über die Gründe für dieses fast vollständige Fehlen von Forschungen zur saar¬
ländischen Umweltgeschichte kann man allenfalls Vermutungen anstellen. Eine
naheliegende Erklärung scheint die strukturelle Schwäche der ökologischen Bewe¬
gung im kleinsten deutschen Flächenstaat zu bieten: Bündnis 90/Die Grünen
schafften erstmals 1994 den Einzug in den saarländischen Landtag, womit man der
(west)deutschen Entwicklung etwa 10-15 Jahre hinterherhinkte. 1999 scheiterten
sie wiederum deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde, die bei den Landtagswahlen der
Jahre 2004, 2009 und 2012 nur jeweils knapp genommen werden konnte. Hinge¬
gen scheidet eine schlechte Quellenlage als Ursache dieses Forschungsdesiderats
aus, denn sowohl das Landesarchiv als auch saarländische Kommunal- und Wirt¬
schaftsarchive halten eine Fülle bislang ungenutzter einschlägiger Archivalien be¬
reit. Im Folgenden soll das Potenzial des Quellenmaterials anhand zweier Fallbei¬
spiele exemplarisch veranschaulicht werden. Das erste ausführlichere Beispiel do¬
kumentiert verschiedene Phasen aus mehr als einem Jahrhundert der Nutzung und
Vgl. zuletzt als Überblicksdarstellung für die vorindustrielle Zeit: Reinhold Reith, Um¬
weltgeschichte der Frühen Neuzeit, München 2011; Df.rs., Art. „Umwelt“, in: Enzyklo¬
pädie der Neuzeit, hg. von Friedrich Jaeger, Bd. 13, Stuttgart 2011, Sp. 905-921.
5 Einige wenige Aufsätze befassen sich am Beispiel der Saar mit der Wasserproblematik,
so etwa Jo Leinen und Dietmar Schmitz, Der ausgenutzte Fluß, in: Richtig daheim wa¬
ren wir nie. Entdeckungsreisen im Saarrevier 1815-1955, hg. von Klaus-Michael Mall-
mann und anderen, Berlin 1988, S. 123-127, und die Beiträge in: Die Saar. Geschichte
eines Flusses, hg. von Richard van Dülmen und Eva Labouvie, St. Ingbert 1992.
Der parallel dazu publizierte Leitfaden: Von „Abwasser“ bis „Wandern“. Ein Wegweiser
zur Umweltgeschichte, hg. von Wolf Schmidt, Hamburg 1986, wurde mehrmals nach¬
gedruckt und einer der ersten „Bestseller“ der jungen Umweltgeschichte.
So in Wolfgang Behringers Kulturgeschichte des Klimas. Von der Eiszeit bis zur globa¬
len Erwärmung, München 2007, oder in Christian Mathieus Dissertation: Inselstadt Ve¬
nedig. Umweltgeschichte eines Mythos in der Frühen Neuzeit, Köln 2007, Letzterer bot
allerdings mit Antje Fuchs im WS 2004/2005 ein Proseminar „Von ,Stinkhütten1 und
Bergschäden - Die Umweltgeschichte der Saarregion im 19. Jahrhundert“ an.
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