gunsten des Königs und seines Hofes. Etwas davon abgehoben ist unser vorrangi¬
ges Interesse an grundsätzlich pflichtigen Abgaben und Leistungen, die reichsweit
ermittelt und schriftlich erfasst werden sollen. Gewisse Übergänge zwischen bei¬
den Modellen sind nicht auszuschließen.
Erwähnenswert ist, dass Ludwig der Fromme im Jahre 831 einen vergleichbaren
Versuch zur Erfassung kirchlichen Besitzes, allerdings in etwas indirekter Form un¬
ternommen hat. Die Klöster im Reich sollten „ihm Beschreibungen ihres Besitztums
einschließlich ihres Kirchenschatzes zur Verfügung stellen“29. Einen Sonderfall bil¬
den die Vorbereitungen für die Reichsteilung von Verdun 843. Alle drei Brüder soll¬
ten ungefähr gleiche Teile in Wertigkeit, Größe und Bedeutung erhalten, weshalb
königliche Amtsträger sorgfältig die Teilungsmaterie zu erfassen (describere, in-
breviare) hatten. Das Churrätische Reichsguturbar gehört in diese Zusammenhänge
- als Glanzlicht innerhalb einer sonst trümmerhaften Überlieferung.
Interessant ist ein Blick auf das karolingische Militär- und Gestellungssystem
mit der sogenannten Heeresreform Karls des Großen. Auf der Grundlage väterli¬
cher Verfügungen von Anfang 807 und Anfang 808 hat Ludwig der Fromme im
Jahre 829 den allgemeinen Kriegsdienst nach „persönlicher, genossenschaftlicher
und finanzieller“ Einschätzung geordnet und die Leistungsfähigkeit differenziert
beurteilt: „Wir wünschen und befehlen, daß unsere Missi genau feststellen, wie¬
viele freie Leute in den einzelnen Grafschaften leben, die aus eigener Kraft am
Kriegszug teilnehmen können; wieviele ferner von denen [vorhanden sind], deren
einer den anderen unterstützt, ferner von denen, deren zwei einen dritten unterstüt¬
zen und ausrüsten, aber auch von denen, deren drei einen vierten, sowie von denen,
deren vier einen fünften unterstützen und ausrüsten, und die alle am Kriegszug
teilnehmen können. Ihre Anzahl sollen sie [die Missi] uns zur Kenntnis bringen“30.
Herausgehoben sei die Schlussforderung, dass dem Kaiser in schriftlicher Form
die Gesamtsumme der erfassten Dienstpflichtigen zu melden sei (eorum summam
ad nostram notitiam deferant). Dies ist eine Neuerung gegenüber früheren Rege¬
lungen. Die entsprechende Forderung findet sich auch in dem fast gleichzeitigen
Capitulare missorum, in dem die summa dem Kaiser per brevem mitgeteilt werden
soll31.
Unbeschadet der Tatsache, dass die konkreten und auch reichsweiten Reali¬
sierungsmaßnahmen nicht ermittelbar sind, dass sogar innenpolitische Schwierig¬
keiten sich seit den 820er Jahren zu häufen begannen, bleibt der äußerst bemer¬
kenswerte Versuch des Kaisers, die militärischen Ressourcen in seinem Reich zah¬
lenmäßig zu erfassen und eine Heeresmatrikel nach Leistungsfähigkeit zu ver¬
langen. Man sollte auch erwähnen, dass die entsprechenden gesetzlichen Maßnah¬
men Karls des Großen und Ludwigs des Frommen ganz offenbar von deren jewei¬
liger Realisierungsmöglichkeit ausgingen, dass der Staatsapparat samt der Zentrale
auch in verwaltungstechnischer Hinsicht als kompetent angesehen wurden, die
Notwendigkeit ohnehin einsichtig war.
29 R. C. van Caenegem, F. L. Ganshof, Kurze Quellenkunde des Westeuropäischen Mit¬
telalters, Göttingen 1964, S. 87 mit Anm. 1.
30 Capitula ab episcopis in placito tractanda, hg. von Alfred Boretius und Victor Krause
(MGH Capitularia II), 1890, Nr. 186, c. 7, S. 7. Die Übersetzung folgt Karl WÜHRER,
Der Deutsche Staat des Mittelalters 1, Jena 1932, S. 319.
11 MGH Capitularia II, Nr. 188, c. 5, S. 10.
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