(8) ,Ach ach, hedde ik doch,
ach ach, hedde ik doch
secke dragen wente noch!
tune esset mihi suave.
Vorwar vorwar
wert it em swar,
de de schal up sinen olden jar
pondus portare grave/66
Durchaus Ähnlichkeit mit dem mystisch-erotischen Diskurs in Mechthilds von Magdeburg
Das fließende I Jcht der Gottheit besitzt das Lied „Das Kreuz. Gespräch des Herrn mit der Seele“,
wo die letztere z.B. den Herrn flehentlich anspricht und um Hilfe bittet:
(12) O here, giff mi der leve brand!
min krankheit is di wolbekant.
lestu mi up mi sülvest stan,
so westu wol, ik mot vorgan.6
Am häufigsten ist aber die Gattung der Marienlieder vertreten, was für religiöse Lieder, die
in einem Kloster gedichtet oder zumindest aufgeschrieben wurden, nicht überraschend wirkt.
Entscheidend bleibt aber, dass die Nonnen überhaupt so intensiv darum bemüht waren, mit¬
tels dieser Liedersammlung ein Dokument ihrer religiösen Leidenschaft zu schaffen, die sich
leichterdings schlicht als die andere Seite der gleichen Medaille erweist, womit nämlich die
weldiche Liebeslyrik des späten Mittelalters großartig komplimentiert wurde.
Auf etwas anderer Ebene gelagert erweist sich die Situation vom Kloster Ebstorf, heute so
berühmt wegen der dort geschaffenen Weltkarte.68 Zugleich liegt uns aber auch ein Lieder¬
buch vor, das von den Nonnen in Ebstorf geschrieben wurde, das zwar einerseits ebenfalls
ganz deutlich die Beeinflussung durch die Vevotio modema reflektiert, andererseits in vielerlei
Form auch die weltliche Liebeslyrik verarbeitete und ihre Elemente für die religiöse Themati-
sierung umsetzte, ob wir an das Marienlob (Nr. 3), an das Kreuzlied (Nr. 4) oder das Liebes¬
lied auf Jesus denken (Nr. 5), von dem hier die letzten zwei Strophen zitiert zu werden ver¬
dienen:
(7) Tho mynes leves hoveden
dar steit eyn lylienbladt,
dat lopt van vrouden umme
so alze eyn molenradt.
(8) Tho mines leves diden
dar stat eyn gülden schrin,
dar inne is beslaten
dat milde hertken sin.69
66 Siehe dazu auch Agricola, Kathrin: Vroumtjuk, kynder; alghemeyne... das Wienhäuser Liederbuch als Zeugnis
von Religiosität und Klosterleben im Spätmittelalter. Wissenschaftliche 1 lausarbeit zur Erlangung des akademischen
Grades eines Magister Artium der Universität Hamburg, Hamburg 1997.
67 Zitiert nach: Classen (wie Anm. 7, ,Mein Seelfang an gu singen), S. 45.
68 Wilke, Jürgen: DieEbstorfer Weltkarte (Veröffendichungen des Instituts für Historische Landesforschung der
Universität Götdngen 39), 2 Bde., Bielefeld 2001.
69 Zitiert nach: Classen (wie Anm. 7,,Ai ein Seelfang an gu singen), S. 127.
346