Selbstbewusster, den gesellschafdichen Standort und die politische Macht mit den Mit¬
teln der Kunst deutlicher demonstrierend — wenn man so will: weltlicher —, kommen dann
die berühmten, in fürstlichem Auftrag entstandenen Stundenbücher der Spätzeit einher,
etwa die herausragenden sechs Heures-Codices3 für jean de France, Duc de Berry A Zu
fragen ist, ob die in den Anfangsjahren des 15. Jahrhunderts entstandenen belles Heures '
oder die Très Riches Heures111 des Herzogs je in der Andachtspraxis benutzt wurden oder ob
nicht eher die Absicht des Auftraggebers darin aufging, sich als Mäzen von Spitzenwerken
der Kunst zu verwirklichen, sozusagen als Kunstkenner seine gesellschaftliche Position
demonstrativ vorzuführen. Dies gilt auch für das gut ein halbes Jahrhundert später, um
1477, für eine Frau in Auftrag gegebene, kunsthistorisch nicht weniger bedeutende Stun¬
denbuch der Maria von Burgund,"1 das neben dem üblichen Inhalt von Stundenbüchern —
Kalender, Stundengebete zur Jungfrau Maria, Bußpsalmen, Allerheiligenlitanei, Totenge¬
bete - noch weitere Texte enthält: die Sieben Freuden Marias, zwei längere Mariengebete,
einen Abschnitt aus jedem der vier Evangelien, die Marienmesse, kurze Stundengebete
zum Leiden Christi und zum Heiligen Geist, 15 kurze Heiligenandachten, sämdich natür¬
lich in lateinischer Sprache, von deren Kenntnis bei der Erziehung am burgundischen Hof
ausgegangen werden darf. An wenigen Stellen jedoch, so am Beginn einiger Abschnitte im
Marien-Officium, stehen wie bei den frühen Vorläufern der Stundenbücher volkssprachli¬
che Inserate: kurze Anweisungen in französischer Sprache, die angeben, welche Psalmen
für bestimmte Wochentage auszuwählen sind.
Die Ausstattung der Handschrift ist von höchstem Anspruch. Auf den ersten 34 Blät¬
tern ist der Text mit Gold- oder Silbertinte auf schwarzem Grund geschrieben. Für die
Ausführung der Bildseiten und der Seitenrand-Dekorationen wurden nur Künstler ersten
’ Die erste Zusammenstellung gab Delisle, Léopold: „Les livres d’heures du duc de Berry“, in: Galette des
Beaux-Arts 29 (1884) S. 97-110, S. 218-292, S. 391-405. Zum Umkreis und zu weiteren Handschriften
siehe Thomas, Marcel: Buchmalerei aus der Zeit des Jean de Berry, München 1979.
38 Zu diesem siehe Lehoux, Françoise: Jehan de France, duc de Berri. Sa vie. Son action politique. 1340-1416, 4
Bde., Paris 1894-1896; Autrand, Françoise: Jean de Berry. \ J art et le pouvoir, Paris 2000.
39 New York, The Metropolitan Museum of Art, The Cloisters, Acc. No. 54.1.1. Siehe dazu Porcher, Jean:
/ jes Belles Heures de jean de France, duc de Berry, Paris 1953; Meiss, Millard / Smith, S.O. Dunlap / Beatson,
Elizabeth H.: French Painting in the Time ofjean de Berry. The Umbourgs and their Contemporaries, New York /
London 1974, vor allem S. 102-142 und S. 331-336; König, Eberhard: Die Belles Heures des Duc de Berry.
Stemstunden der Buchkunst, Stuttgart 2004. Sämtliche Bildseiten sind farbig reproduziert in: Meiss, Millard /
Plummer, John / Beatson, Elizabeth H. (Hg.): Die Belles Heures des jean Duc de Berry in The Cloisters New
York. Einführung und Bilderläuterungen, München 1974.
40 Chantilly, Musée Condé, ms. 65. Siehe dazu Porcher, Jean: Tes Très Riehes Heures du duc de Berry, Paris
1950; Meiss: French Painting (wie Anm. 39) S. 143-224 und S. 131-133. Sämtliche Bildseiten sind farbig re¬
produziert in: Meiss, Millard / Longnon, Jean / Cazelles, Raymond (Hg.): Die Très Riehes Heures des Jean
Duc de Berry im Musée Condé Chantilly. Einführung und Bilderläuterungen, München 1973.
41 Wien, Österreichische Nadonalbibliothek, Cod.1857. Siehe dazu: Unterkircher, Franz: Burgundisches Bre¬
vier. Die schönsten Miniaturen aus dem Stundenbuch der Maria von Burgund, Graz 1974; siehe auch Unterkircher,
Franz / Stummvoll, Josef: Abendländische Buchmalerei. Miniaturen aus Handschriften der Österreichischen Natio¬
nalbibliothek, Graz / Wien / Köln 1967, S. 234-239; Lieftinck, Gérard Isaac: Boekverluchters uit de omgeving
van Maria van Bourgondie, e. 1475-c, 1485 (Verhandelingen van de Koninkl. Vlaamse Acad. Voor Weten-
schappen van Belgie, Kl. D. lett. 66), Brüssel 1969; Lyna, Frédérik: De Vlaamse miniatuur van 1200 tot
1530, Brüssel 1933; Pacht, Otto: The Master of Mary of Burgundy, London 1948.
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