Nun ist diese Beobachtung nicht neu und hat auch verschiedentlich zur Formulierung
konkreter Fragestellungen und Erkenntnisinteressen geführt. Schon 1935 hat Herbert
Grundmann in einem grundlegenden „Beitrag zur Frage nach der Entstehung des Schrift¬
tums in der Volkssprache“ festgestellt, dass es die adeligen Frauen waren, die als Leserin¬
nen volkssprachlicher Literatur eine laikale Lesekultur begründeten. Bücher sind ,Frau¬
ensache4, insbesondere die aus dem Lateinischen ins Volkssprachliche übersetzten Bücher
mit religiösen Inhalten, die in den deutschen Rechtssammlungen des 13. Jahrhunderts zu
den ,Frauendingen4 zählen, die ausschließlich in weiblicher Erbfolge weitergegeben wer¬
den.!l Aus dem neueren gendergeschichtlichen Blickwinkel heraus hat 1982 Susan Groag
Bell in einem nicht weniger wichtigen Aufsatz die Bedeutung hochadeliger Frauen für den
kulturellen Wandel an deren spezifischen Verhältnis zu Büchern festgemacht. Durch in¬
tensive Lektüre volkssprachlichen religiösen Schrifttums hätte die gebildete weibliche Le¬
serschicht, so Bell, ihren eigenen individuellen Zugang zur religiösen Literatur gefunden
und an der kirchlichen Kontrolle vorbei die spätmittelalterliche Laienfrömmigkeit maßgeb¬
lich mitgeprägt. Als Ehefrauen auswärtiger Monarchen und Fürsten fungierten die an Bü¬
chern und Literatur interessierten Damen darüber hinaus als ,Kulturbotschafter4, indem sie
den Kulturaustausch und Kulturtransfer zwischen den europäischen Höfen beförderten.
Die Themenbereiche ,Bildung und Lesekultur4, ,Bücher und Bibliotheken4, Hofgesell¬
schaften und deren Gebrauch von Literatur4 sowie ,Kulturtransfer zwischen den europäi¬
schen Höfen4 werden in den letzten Jahren von der historischen Forschung zunehmend in
den Blick genommen.s Dazu gehört auch die Frage, welchen Anteil die Frauen daran hat¬
ten. Im Unterschied zu den westeuropäischen Königreichen, für die in den letzten Jahren
einschlägige Studien publiziert wurden,9 ist zu diesem Thema für den Raum des spätmit¬
6 Grundmann, Herbert: „Die Frauen und die Literatur im Mittelalter. Ein Beitrag zur Frage nach der Ent¬
stehung des Schrifttums in der Volkssprache“, in: Ders.: Ausgewählte Aufsätze 3 (Schriften der MGH 25,3),
Hannover 1978, S. 67-95.
Bell, Susan Groag: „Medieval Women Book Owners: Arbiters of Lay Piety and Ambassadors of
Culture“, in: Mary- Erler / Maryanne Kowaleski (Hg.): Women and Power in the Middle Ages, Athens / Lon¬
don 1988, S. 149-187 mit zahlreichen Abbildungen zum Thema ,Frauen und Bücher1, unter anderem
Abbildung 3: Margarete von York (wie Anm. 2).
8 Vgl. etwa die Tagungsbände: Kasten, Ingrid / Paravicini, Werner / Pérennec, René (Hg.): Kultureller Aus¬
tausch und Uteraturgeschichte im Mittelalter, transferts culturels et Histoire littéraire au Moyen Age (Beihefte der
Francia 43), Sigmaringen 1998; Paravicini, Werner / Wettlaufer, Jörg (Hg.): Erziehung und Bildung hei Hofe
(Residenzenforschung 13), Stuttgart 2002.
Neben Bell: „Book Owners“ (wie Anm. 7) sei hier lediglich hingewiesen auf einige neuere Bände: Meale,
Carol M. (Hg.): Women and Uterature in Britain, 1150-1500 (Cambridge Studies in Medieval Literature 17),
Cambridge 1993,22005; Larrington, Carolyne: Women and Writing in Medieval Europe. A Sourcebook, London
/ New York 1995; McCash, June Hall (Hg.): The Cultural Patronage of Medieval Women, Athens / London
1996; Taylor, Jane H. M. / Smith, Lesley (Hg.): Women and the Book. Assessing the I 7sual Evidence (The Brit¬
ish Library studies in medieval culture), London / Toronto 1997; Wogan-Browne, Jocelyn u.a. (Hg.): Me¬
dieval Women: Texts and Contexts in Tate Medieval Britain. Essays for Felicity Kiddy (Medieval women 3), Turn-
hout 2000; Krug, Rebecca: Reading Families. Womens Uterate Practice in 1m te Medieval England, Ithaka 2002;
Erler, Mary' C.: Women, Reading and Piety in Late Medieval England (Cambridge Studies in Medieval Litera¬
ture 46), Cambridge 2004; Scott-Stokes, Charity7: Women’s Books of Hours in Medieval England: selected texts
translated from Eatin, Anglo-Norman French and Middle English with introduction and interpretive essay (Library of
medieval women), Woodbridge 2006; Watt, Diane: Medieval Women's Writing. Works by and for Women in
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