Full text: Zwischen Herrschaft und Kunst

[39'] darauf hin, daß, ähnlich wie in zahlreichen spätmittelalterlichen Andachtsbüchern, 
die Verrichtung bestimmter Oratorien in Verbindung mit der Betrachtung gerade dieses 
Bildes für den Betenden Erlösung von den Sünden bedeuten konnte.“1’ Der Repräsenta¬ 
tionsanspruch der Handschrift ist schon daran ablesbar, dass drei spezialisierte Maler für 
den Miniaturenschmuck verantwortlich sind: Einer für die monumentalen Apostel- und 
Heiligenbilder, ein zweiter für den Eitaneischmuck und die zweistöckigen Miniaturen chri- 
stologischer Thematik — wie z.B. auf Bl. 42v /43' Marientod mit Marienkrönung und Auf¬ 
erstehung der Toten, Jüngstem Gericht mit Deesis und Scheidung der Gerechten und 
Verdammten —, der besonders durch die statuarischen Figuren und die besonders kleintei- 
lige Faltenbrechung auffällt. Von einer dritten Hand, sicher der qualitätsvollsten, stammen 
der Christophorus (Bl. 10') mit der „kompliziert-bewegten Organisation des Gewands 
[...] in dynamisch fließender und weniger hartbrüchig gezackter Drapierung der Stoff¬ 
bahnen“11 als bei den beiden anderen Malern, sowie die beiden ganzseitigen Bilder der 
Geburt (Bl. 8') und der Kreuzigung (391). 
Schon früh bringen sich die — adeligen — Besitzerinnen und Benutzerinnen selbst ins 
Bildprogramm ein. Das ein knappes Jahrhundert als das Hildesheimer Psalter-Gebetbuch 
jüngere, in England, vermutlich in London, entstandene Stundenbuch für Hawisia 
DuBois3 enthält zu Beginn zwei Miniaturenpaare solch repräsentativ-identifikatorischen 
Bezugs der eigenen Person aufs Heilsgeschehen: die Erzengel Gabriel und Michael auf Bl. 
T und 2', angebetet von den Mitgliedern der Familie DuBois - Bote der Verkündigung 
der eine, Seelenwäger im Jüngsten Gericht der andere —, um Beistand angerufen von den 
Benutzern des Buchs. Auf Bl. 3' (Abb. 6) knien links Hawisia DuBois und ein weiteres 
weibliches Mitglied der Familie, rechts ihr Gatte vor der Jungfrau mit dem Kind. In die 
Medaillons der Bildrahmenecken sind die Familienwappen der DuBois eingefügt. Die Mi¬ 
niatur korrespondiert mit einer Darstellung des Jüngsten Gerichts und der Auferstehung 
der Toten auf dem gegenüberliegenden Bl. 4. Die Botschaft dieser das Buch einleitenden 
Bilderfolge ist eindeutig: Verkündigungsengel, Engel des Jüngsten Gerichts, und Maria, 
angebetet von Hawisia DuBois und ihrer Familie, sollen garantieren, dass die Hoffnung, 
am Jüngsten Tag zu den Gerechten gezählt zu werden, sich erfüllt, wie die abschließende 
Gerichtsminiatur mit der Totenauferstehung deutlich macht. Wie eng und direkt der per¬ 
sönliche Bezug des Benutzers auf den Gebrauchshorizont des Stundenbuchs ist, zeigt sich 
aber nicht nur auf der ikonographischen Ebene, sondern wird auch hervorgehoben da¬ 
durch, dass Hawisias Name nicht weniger als vier Mal in die Gebete der Handschrift inse¬ 
riert ist. 
In der die Mariengebete einleitenden Miniatur des gut ein Viertel Jahrhundert älteren 
Psalter-Gebetbuchs für Jolande, Dame de Coeurres und Vicomtesse de Soissons," mate- 
33 Ebd., S. 74. 
34 Ebd. Zum sdlistischen Umfeld siehe Kroos, Renate: „Das Psalterium der Mechthild von Anhalt“, in: 
Ernst Guldan (Hg.): Beiträge %ur Kunstgeschichte. Eine Festgabe für Heing Rudolf Posemann, München / Berlin 
1960, S. 75-94, hier S. 79. 
33 New York, The Morgan Library and Museum, MS M. 700, um 1325-1330. Siehe Wieck: Painted Prayers 
(wie Anm. 12), Nr. 5. 
36 New York, The Morgan Library and Museum, MS M. 729, um 1280-1290. Siehe Wieck: Painted Prayers 
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