— auf ,Gott und die Welf in weitlichen Dingen, auf Gott allein in spirituellen. Sie emp¬
fiehlt ihrer Tochter allerdings besonders das private Gebet.21 Wenn es aber darum geht,
das tägliche Leben in Einklang mit Gott zu führen, ist der Seelenadel, die „noblesse de
couraige“ (S. 57/61), entscheidend. Dass Geburtsadel und Seelenadel nicht zusammenfal¬
len müssen, weiß Anne, so fügt sie an, aus eigener Erfahrung: „il semble aujourduy ä plu-
sieurs nobles, de lignaige non de couraige, estre belle chose (nous le voions par
eperience)“ (S. 95/77). Der Seelenadel geht zum Teil auf die Erziehung zurück,'11 auf die
Anne großen Wert legt denn das „vertueux sqavoir“ (S. 123) ist unerlässlich, um das rich¬
tige Verhalten zu erkennen,'1 Als Quellen guter Verhaltensregeln zitiert Anne selbstver¬
ständlich die Bibel und einige Erziehungslehren,'2 aber auch die Schriften der Kirchenvä¬
ter sowie antike und christliche Philosophen." Diese Bücher — die übrigens alle in der
herzoglichen Bibliothek in Moulins standen'1 — empfiehlt sie ihrer Tochter auch zur Lek¬
türe." Die Ausführungen zu diesem Thema sind recht umfangreich — aber nur mit einem
einzigen Satz erwähnt Anne die Heilige Messe (S. 64/64). Der häufige Kirchgang er¬
scheint selbstverständlich, aber für eine selbstbewusste, gebildete Frau wie Anne nicht
ausreichend, ebenso wie die wenigen erwähnten Formen der Religionsausübung fast ne¬
bensächlich wirken,1(1 während die Orientierung an Gott von zentraler Bedeutung ist.
Zu dem anspruchsvollen Bildungsprogramm passen zwei weitere Themen der
Enseignements, die Annes Erfahrungen spiegeln. Susanne soll sich Gebildeten gegenüber
besonders freundlich zeigen, denn es gäbe keine Bildung ohne Tugend. Die Ehre, die man
den ,s«;avants‘ erweist, bekomme man daher doppelt zurück (S. 101/79). Der Wissenser¬
werb spielt auch in der Kindererziehung eine große Rolle. Susanne solle alle Mühe darauf
verwenden, ihre Kinder gut zu unterrichten, denn es gäbe auf der Welt keine größere
Freude für Vater und Mutter, als wohlerzogene und gebildete Kinder. '
29 Zitat S. 26. Im Text erscheinen die Ausführungen zum Gebet allerdings als Abschweifungen vom
eigentlichen Thema, denn Anne fährt danach fort: „Mais, pour abréger, et revenir à nostre propoz,
touchant habillemens [...]“ (S. 27/48).
30 „[...] pensez de bien conduire vos enfants en bonne doctrine et ne faire pas comme aucuns folz
pères et mères, à qui ne chault d’acquérir à leurs enfants bonnes vertus, mais leur suffit de les veoir hault
eslevez, qui est chose diabolicque, et dampnable.“ (S. 117/87f.).
31 Vgl. dazu Clavier: „Les Enseignements d'Anne de France et l’héritage de Christine de Pizan“ (wie Anm. 2),
S. 25.
32 Am Häufigsten zitiert sie einen ,docteur Liétard1, den die Herausgeberinnen der Ausgabe von 2006 mit
Leonardo von Udine identifizieren, Clavier/Viennot: Anne de France (wie Anm. 1), S. 24.
33 Vgl. die Übersicht bei Homet, Raquel: „Las Enseñanzas de Ana de Francia, duquesa de Borbón“, in:
Temas Medievales 12.1 (2004) S. 37-82, hier zitiert nach der Internet-Version (www.scielo.org.ar/pdf/tme-
die/v!2nl/vl2nla03.pdf, S. 5-9).
34 Vgl. die Bibliotheksverzeichnisse im Anhang der Ausgabe von Chazaud,
35 „[...] je vous conseille que lisiez le livret du preudhomme de sainct lis, celui de sainct Pierre de Luxem¬
bourg, les sommes le roy, horloge de Sapience, ou aultres livres de vie des Saincts, aussi les dictz des phi¬
losophes et anciens saiges, lesquelles doctrines vous doivent estre comme droicte reigle et exemple, et
c’est très-honneste occupation et plaisant passe temps“ (S. 8f./40f.):
36 Die Ausführungen zur Messe stehen, ähnlich wie bereits die zum privaten Gebet, in einem Kontext, der
sie als Argument unter anderen erscheinen lassen. Hier geht es um die ,grâce du monde1 und die ,bonne
renommée1, für die es wichtig ist, sich in der Kirche richtig zu verhalten.
37 „[...] en ce monde, n’a telle joye au père et à la mère, que avoir enfans saiges et bien endoctrinez.“
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