autor-, sondern auch gattungsspezifische Differenzen zwischen einzelnen Erzählungen
präziser zu beschreiben erlaubt.1'
Ein weiterer Aspekt, den insbesondere die sprachwissenschaftliche Sprechakttheorie ins
Bewusstsein gerufen hat, ist darüber hinaus die Tatsache, dass jedes Sprechen ein Handeln
ist; funktional betrachtet ist das Sprechen lediglich eine (durch inquit-F oxmzXn markierte)
Form des Handelns unter anderen. Entscheidend ist nicht nur, welche Informationen von
den sprechenden Figuren im Text weitergegeben werden (und an wen), sondern auch,
welche Arten von Sprachhandlungen diese vollziehen: So akzentuieren z.B. die Direktiva
nicht zuletzt soziale Verhältnisse; insbesondere kommissive Sprechakte dagegen (wie Ver¬
sprechen, Eide, Gelöbnisse) und in Ansätzen auch Expressiva (wie Verfluchungen) ver¬
pflichten die Protagonisten zu zukünftigem Handeln und sind damit unmittelbar hand-
lungsauslösend, handlungsfunktional. Erste Untersuchungen der Dialoggrammatik auch
mittelalterlicher Texte1' beweisen, dass einige der mittelalterlichen Autoren, allen voran
Wolfram von Eschenbach, ein sehr feines Gespür für die Möglichkeiten der Gesprächs¬
führung besaßen, für die Chancen, bestimmte Handlungsziele nur durch geschicktes Len¬
ken eines Dialogs zu erreichen. Die Idealvorstellung von der höfischen Kultur als einer
Gesprächskultur,1 als einer Kultur, die zur Konfliktlösung nicht mehr ausschließlich auf
die Kraft der Waffen, sondern gerade auch auf die Macht des Wortes setzte, wird insbe¬
sondere in den klassisch-höfischen Texten sehr deutlich erkennbar. Die Untersuchung
von Redeszenen liefert damit sowohl für den Bereich der Poetik und Narratologie als
auch für die Kultur- und Mentalitätsgeschichte des Mittelalters wichtiges Material.
Die mediävistischen Untersuchungen auf diesem Gebiet gehen allerdings bisher von
den Verstexten insbesondere des Hochmittelalters aus; systematische Untersuchungen zu
den Formen und Funktionen der Redeszenen in den Prosaerzählungen des späten Mittel¬
alters fehlen bisher vollständig. Mehr als Bausteine zu einer solchen Untersuchung kann
der vorliegende Beitrag aufgrund dieser Forschungslage nicht liefern.
13 Siehe etwa Philipowski, Katharina: „Strophisches und stichisches Sprechen. Medientheoretische Überle¬
gungen zur Figurenrede in höfischer Epik und Heldenepik“, in: Miedema/Hundsnurscher (Hg.): Formen
und Funktionen von Redes^enen (wie Anm. 6), S. 43-72 und Hagby, Mary von ne: „Die Dialoge im I U'ben der
Yolanda von I landen. Inhaltliche, funktionale und gattungsgeschichtliche Überlegungen“, in: Mie¬
dema/Hundsnurscher (Hg.): Formen und Funktionen von Redesqenen (wie Anm. 6), S. 73-87.
16 Siehe insbesondere Schlieben-Lange, Brigitte: „Ai las — que planhsé Ein Versuch zur historischen Ge¬
sprächsanalyse am Flamenca-Roman“, in: Romanische Zeitschrift für l Jteraturgeschichte (1979) S. 1-30; Hess-
Eüttich, Ernest WB.: Kommunikation als ästhetisches Problem (Kodikas, Code: Supplement 10), Tübingen
1984 (mit Kapitel zum Helmbrecht Wernhers des Gartenaere); Neuendorff, Dagmar: „Das Gespräch zwi¬
schen Parzival und Trevrizent im IX. Buch von Wolframs Partirai Eine diskursanalytische Untersu¬
chung“, in: Eeena Kahlas-Tarkka (Hg.): Neophi/ologica Fennica (Mémoires de la Société Néo-Philologique
de Helsinki 45), Helsinki 1987, S. 267-294; Weigand, Edda: „Historische Sprachpragmatik am Beispiel:
Gesprächsstrukturen im Nibelungenlied'‘, in: Zeitschrift für deutsches Altertum 117 (1988) S. 159-173; Wevdt,
Harald: „Falken und Tauben im Nibelungenlied. Wie lässt man es zum Kampf kommen, wenn man keine
Macht hat?“, in: Miedema/Hundsnurscher (Hg.): Fortnen und Funktionen von Redes^enen (wie Anm. 6),
S. 223-245.
1 Vgl. Bumke: „Höfische Kultur“ (wie Anm. 8), S. 478: Die höfische Kultur wurde „von den Betroffenen
selbst in erster Finie als Sprachkultur begriffen“.
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