Full text: Zwischen Herrschaft und Kunst (44)

nur ,gedacht‘, in der Volkssprache statt, wie die Beischriften, auch die nachgetragenen, 
zeigen, ln den Seckauer auch im liturgischen Vollzug genutzten Handschriften der Augu¬ 
stiner-Chorfrauen fallen lateinischer Basistext, deutschsprachige Einsprengsel und die ein¬ 
leitenden Illustrationen im Entstehungsprozess nicht — wie im Hildegard-Gebetbuch — 
zeitlich auseinander. Offensichtlich hat die ikonographische Akzentuierung des Beginns 
lateinischer Gebets- und Andachtsbücher mit volkssprachlichen Inseraten programmati¬ 
schen Charakter: Die dem Textcorpus vorangestellten Bilderzyklen konkretisieren die 
heilsgeschichtliche Verbindlichkeit des im Text Gebotenen wie umgekehrt die Texte „die¬ 
se Heilsgeschichte liturgisch vergegenwärtigen“.10 
Das trifft auch auf ein vermutlich im zweiten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts entstan¬ 
denes, privates Andachtsbuch11 zu, dessen einst angenommener Entstehungsort und Auf- 
traggeber-Umkreis zwar heute bestritten wird,1“ sein Gebrauch durch adelige Frauen je¬ 
doch außer Zweifel steht: Nicht zuletzt die Femininformen in den Gebetstexten verwei¬ 
sen darauf, dass die Handschrift für eine Frau angefertigt worden war: Ora et intercede pro 
me peccatrice heißt es z.B. in einem an den heiligen Wenzel gerichteten Gebet auf Bl. 1491. 
Der Hauptteil des Codex enthält fast ausschließlich lateinische Texte, so unter anderem 
das Officium parvum Beatae Mariae X/irginis mit Stundengebeten, Mess- und Andachtstexten, 
dazu weitere Gebete, eine Totenvesper, die Litanei und als Abschluss den kurzen Psalter. 
Die Handschrift beginnt wie der jüngere Grazer Codex 287 für die Seckauer Chorfrauen 
mit einem Kalender, dem ein Bilderzyklus von 32 ganzseitigen gerahmten Bildtafeln 
folgt,13 die bis auf die zweizonige Eingangsminiatur stets in drei übereinander liegende Re- 
10 Ebd,S. 394. 
11 New York, The Morgan Library and Museum, Ms. M. 739. 
12 Nach bisheriger Forschungsmeinung wurde die Handschrift um 1215 in Böhmen, und zwar im Prä- 
monstratenserstift Louka bei Znojmo (Znaim), von der Markgräfin Kunigunde von Mähren (deren Ster¬ 
bedatum auf Bl. 6V des Kalenders der Handschrift eingetragen ist) für ihre Nichte Agnes — die heilige 
Agnes —, Tochter des Premysliden Ottokar I. von Böhmen, in Auftrag gegeben (siehe Harrsen, Meta: 
Cursus Sanctae Mariae, New York 1937) und spielte, wie Roger S. Wieck (Painted Prayers. The Hook o/Hours 
in Medievaland Renaissance Arl, New York 1998, S. 21) „a key role in her spiritual education“. 2002 hat Mi¬ 
chael Stolz („Das Experiment einer volkssprachlichen Bilderhandschrift im mitteleuropäischen Kontext 
der Zeit nach 1200. New York, Pierpont Morgan Library, M. 739“, in: Vaclav Bok / Hans-Joachim Behr 
(Hg.): Deutsche Titeratur des Mittelalters in und über Böhmen. 2. Tagung in C.eske Budejovice/Budweis 2002 (Schrif¬ 
ten zur Mediävistik 2), Hamburg 2004, S. 9-45), jedoch mit guten Gründen vermutet, dass die Hand¬ 
schrift in den beiden ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts im Umfeld der Herzogsfamilien von Wit¬ 
telsbach und von Andechs-Meranien entstanden ist, und zwar in einem womöglich in Bamberg ansässi¬ 
gen Schreib- und Mal-Atelier, wie einige Jahre zuvor schon Gude Suckale-Redlefsen („Gebetbuch“, in: 
Lothar Hennig [Hg.]: Die Andechs-Meranier in Bamberg. Europäisches Fürstentum im Hochmittelalter [Ausstel¬ 
lungskatalog], Mainz 1998, S. 373f.) angenommen hatte. Die Situierung des Gebrauchs des Codex im 
böhmischen und schlesischen Raum bleibt von dieser neuen These aber unberührt, wie zahlreiche Ne¬ 
krologeinträge zeigen, und es könnte nahe liegen, dass das Buch aus dem primären Entstehungsfeld 
durch Vermittlung der heiligen Hedwig nach Trebnitz gekommen war und von dort in eines der im 13. 
Jahrhundert gegründeten Zisterzienserklöster Böhmens und Mährens geriet: Heinrich I. hatte 1203 auf 
Hedwigs Bitten hin das schlesische Kloster Trebnitz errichtet, das vor allem in der Zeit des Amtsantritts 
von Heinrichs und Hedwigs Tochter Gertrud als Äbdssin 1232 zahlreiche zisterziensische Neugründun¬ 
gen, so auch das Kloster Oslavany in Mähren, mit Nonnen beschickte. 
13 Bl. 9r-24v. 
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