Dieser in den Jahren 1440-1460 in Metz tätige Buchmaler, der ein großes Atelier unter¬
hielt, ist namentlich durch Urkundeneinträge bekannt; er fertigt in seinem Atelier Stun¬
denbücher, aber auch Handschriften klassischer Texte mit umfangreichen Bilderzyklen
wie einen französischen Titus Livius (1970 versteigert,“' jetziger Aufbewahrungsort unbe¬
kannt), dann Chroniken wie die des Petrus von Herenthal (Paris, BnF, Ms. lat. 4931A).
Die Universitätsbibliothek in Cambridge erhielt im Jahr 2003 als Schenkung ein Konvolut
von 35 Einzelblättern aus einer Handschrift der „Pilgrimage de Tarne“, die ebenfalls das
Atelier des Henri d’Orquevaulx illustriert hat (Ms 1-2003).
Diese Handschriften haben ein hohes Ausstattungsniveau; es sind Pergamentcodices
mit deckfarbengehöhten Miniaturen unter reichlicher Verwendung von Blattgold und rei¬
chem Randdekor. In der Lütticher Handschrift ist recht kräftiges Pergament verwendet
worden, sodass Vorzeichnungen nicht zu erkennen sind. Die Ikonographie der Bildmoti¬
ve ist konventionell, aber der Miniator schafft es, selten geforderte Szenen mit erzähleri¬
schem Detailreichtum auszustatten.
Die Handschrift in Chantilly gibt keine Hinweise auf ihre Herkunft, ihre Besteller oder
ihren Aufbewahrungsort, bevor sie ins Schloss von Chantilly kam. Insofern könnte ledig¬
lich eine stilistische Analyse der Miniaturen bei der Frage nach dem Atelier weiterhelfen.
Um es vorweg zu nehmen: Eine stilistische Zuordnung der Handschrift ist immer noch
nicht gelungen,2 und es scheint, als wären auch keine weiteren Handschriften aus diesem
Atelier erhalten geblieben. — Einige Miniaturen aus den Zyklen in Lüttich und Chantilly
seien genauer vorgestellt:
26 Sotheby Parke Bernet & Co.: Catalogue of the Celebrated Library ... of the Late Major j. R. Abbey. The Seventh
Portion: Lorty-three Mannscripts. 1. December 1970, lot 2876, S. 46-48 und plate 19-21. London 1970.
27 Bc'i der Vorbereitung dieses Beitrags konnte ich Abbildungen der Miniaturen der Handschrift Chantilly
[Dagmar Thoss und Maria Theisen in Wien vorlegen und mit ihnen über die künstlerische Heimat des
Manuskripts diskutieren. Auch diese beiden eminenten Kennerinnen der Buchmalerei des 15. Jahrhun¬
derts kennen keine stilistisch vergleichbaren Handschriften.
105