2. Das methodische Prinzip der Deutung deutscher Ortsnamen
Aus der Siedlungsgeschichte und der Sprachgeschichte geht unabweisbar her¬
vor, dass das heutige deutsche Sprachgebiet erst durch siedlungsgeschichtliche
und sprachgeschichtliche Vorgänge sprachlich deutsch geworden ist. Das ist
allgemein bekannt und muss hier nicht ausgebreitet werden.
In einem solchen historischen Raum ist das Phänomen der Übernahme von
im Raum vorhandenen Ortsnamen in einer Sprache älterer Bewohner durch
neue Siedler in ihre jeweiligen neuen Sprachen grundsätzlich zu erwarten und
auch vielfach nachgewiesen. Man vergleiche die Formulierung von Elmar
Seebold (1995, S. 603):
Bei den Ortsnamen ist zunächst eine allgemeine Erfahrung, daß die Na¬
men auffälliger Örtlichkeiten, wie großer Flüsse, charakteristischer Berge
usw., bodenständig sind und gegebenenfalls durch neue Besiedler der
betreffenden Gegend von den alten Siedlern übernommen werden.
Deshalb bedarf die etymologische Deutung deutscher Ortsnamen im Sinne
von im deutschen Sprachgebiet vorkommenden Namen einer spezifischen
Methode, mit deren Hilfe der einzelne Name entweder der deutschen Sprache
und ihren historischen Vorstufen oder einer vorgermanischen Sprachschicht
zugewiesen werden kann.
Diese Methode findet sich am explizitesten von Albrecht Greule formuliert,
und zwar in seinem Beitrag „Schichten vordeutscher Namen im deutschen
Sprachgebiet“ im Handbuch Sprachgeschichte, der einen eigenen Abschnitt 2
„Methodisches zur Schichtung der vordeutschen Namen“ enthält; darin heißt
es (Greule 2004, S. 3461):
Die Aufgabe der Namenetymologie besteht darin, den betreffenden
Namen unter Beachtung der phonologischen, morphologischen und
semantischen Gesetzmäßigkeiten mit einem Nomen appellativum in
Beziehung zu setzen. Daß bei Namen im dt. Sprachgebiet zuerst ein
Bezugsappellativ innerhalb der dt. Sprache bzw. ihrer historischen
Vorstufen gesucht wird, liegt auf der Hand. [...] Erst wenn alle
Möglichkeiten erschöpft sind, ein Nomen proprium an den appellati-
vischen dt. Wortschatz anzuschließen, kann man sich entsprechend
dem in 1. erarbeiteten Schichtenmodell nach etymologischen An¬
knüpfungspunkten umsehen.
Albrecht Greule fasst den methodischen Abschnitt selbst so zusammen (S. 3462):
Man kann die Methode, die zur Schichtung der vordt. Namen ange¬
wendet wird, als ,ausschließende Etymologie1 charakterisieren. Dies
bedeutet, daß der Namenforscher entsprechend den siedlungshisto¬
rischen Gegebenheiten des Raumes, in den ein Name gehört, nach
Anschlußmöglichkeiten an ein Appellativum in einer jetzt oder einst
dort gesprochenen Sprache sucht. Auf diese Weise werden die germ.-
dt. Namen von den vordt. geschieden, und es können Schichten
innerhalb der letzteren erarbeitet werden.
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