Mit aidio haben einige Forscher das Wort altiste (Nom. plur.) in Zusam¬
menhang gebracht,91 das 1239 in einem Vertrag zwischen dem Kloster Nien¬
burg an der Saale und dem Grafen Heinrich 1. von Anhalt vorkommt (neben
littones und censuales ecclesie).9^ Diese Vorgehensweise ist nicht berechtigt.
Ich komme hier in die mich beunruhigende Lage, Peter Stotz widersprechen
zu müssen, der meinte: „Im Anhaitischen ist eine Bildung altista ,halbfreier
Kolone‘ belegt; diese beruht auf einem Wort germanischen Ursprungs (vgl.
aldio ...).“93 Der Verfasser stellt altista neben solche Neubildungen wie
psalmista oder chronista. Aber diese sind von Wörtern abgeleitet, die inner¬
halb der mittellateinischen Literatur überaus verbreitet waren: psalmus und
chronica. Aldio kam in Mitteldeutschland jedoch ganz selten vor. Auch rückt
der Inhalt der anderen Bildungen auf -ista diese Wörter in die Nähe der Zu¬
sammensetzungen von der Art, der die altindischen Grammatiker den Namen
Tatpurusa gegeben haben; vgl. dt. Liebhaber, Weintrinker, Erblasser,44 Ein
psalmista ist einer, der Psalmen dichtet oder singt; ein chronista einer, der
Chroniken schreibt. Was aber soll ein ]a/dionista angestellt haben? Falls
Bildungen wie algorista oder alchimista als Gegenbeispiel dienen sollten,
wäre zu erwidern, dass diese den mathematisch-naturwissenschaftlichen Betä¬
tigungen des 13. Jahrhunderts entsprungen sind und nicht in den ländlichen
Alltag des Hochmittelalters gehören.
Wenn altista tatsächlich von aldiones abgeleitet wäre, müsste es sein Da¬
sein einer völligen Verballhornung verdanken. Auch bliebe es eine einmalige
Bildung. Möglicherweise haben wir einfach eine Verlesung vor uns. Die Ur¬
kunde von 1239 ist nämlich nur als „Transsumpt“ aus dem Jahre 1288 über¬
liefert.9" Das Mittellateinische Wörterbuch setzt altista als eigenes Stichwort
von Voltelini (wie Anm. 83), Sp. 478.
9* Codex diplomaticus Anhaltinus, Bd. 2. Otto von Heinemann (Hg.), Osnabrück 1986
[= Dessau 1875], Nr. 145, S. 116.
93 Stotz, Peter: Handbuch zur lateinischen Sprache des Mittelalters, Bd. 2 (Handbuch
der Altertumswissenschaft 2, 5, 2), München 2000, S. 277.
94 Hirt, Hermann: Handbuch des Urgermanischen, Teil 2 (Indogermanische Biblio¬
thek, 1. Abtlg., 1. Reihe 21,2), Heidelberg 1932, S. 120.
95 Heinemann: Codex diplomaticus Anhaltinus (wie Anm. 91), S. 117. Zu der betref¬
fenden Urkunde siehe Vogtherr, Thomas: „Das Kloster Nienburg zwischen Magde¬
burg und Anhalt (1166-1239)“, in: Mitteilungen des Vereins für Anhaitische
Landeskunde 10 (2001) S. 11-38, hier S. 35f. Zum Kloster Nienburg: Wewetzer,
Cornelia (Hg.): Auf den Spuren der Ottonen IV. 1000 Jahre wie ein Tag: 8. August
1004 bis 8. August 2004; Protokoll der wissenschaftlichen Tagung anlässlich 1000
Jahre Weihe des Benediktinerklosters Nienburg/Saale am 13./14. August 2004 (Bei¬
träge zur Regional- und Landeskultur Sachsen-Anhalts 36: Auf den Spuren der
Ottonen 4), Halle 2005.
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