Karlheinz Hengst
Sprachliche Zeugnisse aus dem mittelalterlichen
deutsch-slawischen Kontaktraum zwischen Saale
und Mulde ab dem zehnten Jahrhundert und ihre
Interpretation
I. Vorbemerkungen:
Für das hier zu betrachtende Gebiet im späteren Mitteldeutschland geht es um
den Zeitraum des Althochdeutschen und Mittelhochdeutschen beziehungswei¬
se des Altsäehsischen und Mittelniederdeutschen - verkürzt wird zur Kenn¬
zeichnung nur deutsch (dt.) verwendet. Entsprechend differenziert ist auch das
Slawische zu sehen. Bis ins 10./1 1. Jahrhundert handelt es sich um den west¬
slawischen Dialektraum des Gemeinslawischen, speziell um das ältere altsor¬
bische (aso.) Dialektgebiet. Ab dem 11. Jahrhundert zeigt dieses altsorbische
Sprachgebiet gewisse Veränderungen: Markant sind zum einen die Verän¬
derung der Nasalvokale und ihre Entwicklung von q [op] > u und von e [eq] >
’e, e oder 'a sowie zum anderen der Schwund der reduzierten Vokale be¬
ziehungsweise ihre Entwicklung zu Vollvokalen.1 Somit haben wir also vom
II. /12. Jahrhundert an ein jüngeres Altsorbisch in der Überlieferung des Na¬
menguts vor uns.
Eigennamenaufzeichnungen in Urkunden, Steuerverzeichnissen und chro¬
nikalischer Überlieferung vom 10. bis 14./15. Jahrhundert sind die einzigen
Quellen zum Altsorbischen (Aso.) aus seiner vorschriftsprachlichen Zeit. Ent¬
sprechende Aufzeichnungen erfolgten dabei von deutschen Schreibern in
kirchlichen und weltlichen Kanzleien. Die Notare waren gebildete Geistliche.
Wie z.B. bei Bischof Thietmar von Merseburg belegt, dürfen wir bei den
Notaren Folgendes voraussetzen:2
1 Vgl. Eichler, Emst: Studien zur Frühgeschichte slawischer Mundarten zwischen
Saale und Neiße, Berlin 1965, S. 43-56 und S. 62-70.
2. Ausführlicher dazu Hengst, Karlheinz: „Namenforschung, slawisch-deutscher
Sprachkontakt und frühe slawische Sprachstudien im Elbe-Saale-Grenzraum“, in:
Onomastica Slavogermanica 19 (1990) S. 105-115; Ders.: „Frühe Namenüberlie¬
ferung als Sprachkontaktzeugnis in Ostthüringen“, in: Rudolf Schützeichel (Hg.):
Ortsname und Urkunde. Frühmittelalterliche Ortsnamenüberlieferung, Heidelberg
1990, S. 236-258; Ders.: „Lingua Slavica missionarica in terra inter Salam et
Albiam“, in: Swetlana Mengel (Hg.): Dem Freidenkenden: Zu Ehren von Dietrich
Freydank, Münster / Hamburg / London 2000, S. 113-131.
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