9.2. Die Tenuesverschiebung und die Wiedergabe von rom. v
in Tirol
Im westlichen Gebiet dichter Verbreitung von Ortsnamen antik-romanischer
Herkunft herrschen besonders im Nordtiroler unteren und mittleren Inntal und
in dem zum Brennnerpass führenden Wipptal mit dem anschließenden Süd¬
tiroler Eisacktal als einer uralten, bereits in der Römerzeit sehr wichtigen und
stark frequentierten Süd-Nord-Verbindung über die Alpen und dann in dem
nach Osten führenden Pustertal die unverschobenen Ortsnamen vor. Auf diesen
Strecken befinden sich aber einzelne Ortsnamen mit Tenuesverschiebung, wie
Karte 5 zeigt. Die Verschiebung von (-)/- zu (-)z- gilt unbestritten in Zirl in
Nachfolge des römischen Kastells Teriolis, während der Name des Flusses
Ziller jüngst als romanisch mit nur scheinbarer Lautverschiebung zu erklären
versucht wird. Zirl befindet sich westlich von Innsbruck und liegt an jener west¬
lichen alten Römerstraße, die von Augsburg/Augusta Vindelicorum über Gar-
misch-Partenkirchen/Par/awo, Scharnitz und den Seefelder Sattel ins Inntal und
über den Brenner ins Eisacktal nach Süden führte.3 ' Da in PartanolParten¬
kirchen, das im länger romanisch verbliebenen Werdenfelserland liegt, die
Lautverschiebung unterblieben ist, ist in Scarcmtia/Schamitz romanische
Assibilierung wahrscheinlicher als Tenuisverschiebung. Obwohl die Verschie¬
bungen von (-)p- zu (-)pf- neuerdings in Zweifel gezogen werden, '4 befindet
sich im mittleren Inntal bei Wörgl Langenkampfen, liegen dann auf der unmit¬
telbaren Brennerstrecke im Wipptal Pfons und der abgekommene Hofname
,Kumpfer< sowie im Eisacktal die bei Gossensaß einmündende Pßersch. Am
Eisacktal selber haftete einst der Name der römischen Provinz Noricum mit
Tenuisverschiebung von -k- zu -hh- als +Nurihtal. Die seit langer Zeit als fest¬
stehend betrachtete selbe Tenuisverschiebung im Pustertaler Ortsnamen
Innichen wird heute gelegentlich bezweifelt.
Die Gründungsurkunde von 769 des vom Baiemherzog Tassilo III. zur
Missionierung der östlich benachbarten Slawen gestifteten Klosters spricht
nämlich von einem leeren und unbesiedelten (inanis et inhabilitabilis) Gebiet,
in welchem India quod vulgus Campo Gelau vocantur errichtet wird, während
die Urkunden von 822 und 827 den Ort IntihhaHnticha und von 828 mit der
neuerlichen volkstümlichen Zusatzangabe ad Inticha quod dicitur Campo
Gelau nennen. Sollte India keine Neubenennung,35 sondern romanische Kon¬
traktion sein, so setzt diese rom. *Indiga mit romanischer Inlautlenierung und
dann geschwundenem spirantisierten stimmhaften g voraus. Dagegen muss die
Vgl. Stain 1982, S. 202f.
'4 Dies geschah schon, doch nicht überzeugend von Mayerthaler 1985/86 und wird nun
wieder ohne nähere Angaben von Schürr 2006, S. I49f. vorgetragen.
' Mit der Möglichkeit einer Neubenennung spielt in phantasievoller Weise Schürr
2006, S. I54f.
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