weise keinen Zutritt zu Fabrikanlagen, diese waren im Übrigen im frühen
20. Jahrhundert alles andere als ein Objekt touristischer Begierde. Die dort
Arbeitenden hätten ohne Genehmigung keine Fotografien anfertigen dürfen,
wenn sie es denn getan hätten.6
Ästhetisch entwickelte sich das Genre mit relativ verbindlichen Regeln und
typischen Potenzialen relativ schnell und es differenzierte sich rasch aus. Das
begann mit den charakteristischen Sujets, den Fabrikanlagen selbst, die in
Totalen und als Panoramen wiedergegeben wurden, dann folgten architekto¬
nische Einzelaufnahmen. Aus der Frühindustrialisierung gibt es nur wenige
Fotografien von Fabriken und so gut wie keine von Arbeitern. Zeichnungen
und Malerei waren wichtigere, aber ebenfalls rare Medien der Darstellung von
Fabrik und Arbeitswelt.7 9 Alfred Krupp mit seiner Wertschätzung des Werbeef¬
fekts sorgfältiger Fotoarrangements war hier die frühe und große Ausnahme. Auf
die Kosten für fünfhundert oder tausend als Staffage eingesetzte Arbeiter an
einem ruhigen Sonntagmorgen kam es ihm nicht an.s Die vorhandenen Auf¬
nahmen aus der frühen Industrialisierungsperiode zeigen Panoramen von Fabrik¬
gebäuden und ihre reichlich geschmückten Fassaden. Dies liegt an den langwie¬
rigen, mühseligen Aufnahmebedingungen, die dazu führen, sich - analog zur
frühen Stadtfotografie -4 aus der Distanz und totalisierend auf Gebäude zu
konzentrieren, und solche Aufnahmen kommen den Repräsentationsinteressen
der Unternehmer besonders entgegen.10 Bewegtes Leben darzustellen liegt
außerhalb der Potenziale dieser Fotografie, deren Entfaltung sich ja gerade als
Ausdifferenzierung einer der Industrie und hässlichen Realität entgegengesetzten
"Kunst" vollzog: Personen- und Familienporträts wurden in den Studios wie
gemalte Bilder arrangiert. Die Mythologisierung industrieller Gewalt in der
Industriemalerei wich mit der Fotografie dem kalten Blick in die Werkshallen,
insofern bedeutet Industriefotografie einfach eine “visuelle Redigiermethode”.11
Es war eine, die menschliche Subjekte unter die Maschinerie ebenso zu subsu¬
mieren trachtete, wie dies die neue wissenschaftliche Betriebsführung anstrebte;
6 Vgl. Lüdtke (Anm, 2), S. 394-396.
7 Vgl. Klaus Herding, Die Industrie als "zweite Schöpfung", in: Die zweite Schöpfung.
Bilder der industriellen Welt vorn 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart, hrsg. von Sabine
Beneke u. Hans Ottomeyer. Berlin 2002, S. 10-27; Dieter Vorsteher, Das lndustriebild als
Auftrag zwischen Vormärz und Gründerzeit, in: Schöpfung, S, 66-71.
8 Vgl. Bodo von Dewitz, "Die Bilder sind nicht teuer und ich werde Quantitäten davon
machen lassen!" Zur Entstehungsgeschichte der Graphischen Anstalt, in: Bilder (Anm. 3),
S. 41-66.
9 Vgl. Roswitha Neu-Kock, Stumme Zeugen. Architekturfotographie und Stadtbilddokumen¬
tation im 19. Jahrhundert, in: Alles Wahrheit! Alles Lüge! Photografie und Wirklichkeit im
19. Jahrhundert, hrsg. von Bodo von Dewitz u. Roland Scotti. Köln 1996, S. 165-175; Rolf
Sachsse, Architekturfotografie des 19. Jahrhunderts. Berlin 1988; Timm Stark Ein Blick auf
die Straße. Die fotografische Sicht auf ein städtisches Motiv. Berlin 1988.
10 Matz (Anm. 1), S. 29, 31.
11 John Sarkowski, zit. nach Susan Sontag. Über Fotografie. Frankfurt am Main 1980, S. 181.
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