gerade dadurch auszuschalten gesucht wurde, dass man die Fotografien außer¬
halb der Arbeitszeiten anfertigte oder den dargestellten Personen genaue Verhal¬
tensinstruktionen erteilter Aus solchen Instruktionen für Fotografen und Perso¬
nal lässt sich zugleich schließen, dass den Fotografien stets Absichten und den
Ergebnissen, den Bildern als Produkten, soziale Funktionen zukamen. Drittens
handelte es sich um intendierte Wirkungen in spezifischen Öffentlichkeiten. Da
man die Bilder nicht als Selbstzweck anfertigte, sehr selten auch aus ästhetischen
Motiven, ist die Art und Weise ihrer Publikation, ihr intendierter und realisierter
Verwendungskontext in die Analyse einzubeziehen, auch wenn man am "doku¬
mentarischen" Charakter der Industriefotografie festzuhalten gedenkt. Aus einer
Publikation der technischen Industriebilder, sei es in einem Album oder an der
Wand eines Unternehmerbüros, sei es anlässlich eines Betriebsjubiläums oder in
einem Firmenprospekt, während einer Gewerbeausstellung oder in einer Zeit¬
schrift,2 3 ergaben sich stets unintendierte Wirkungen.4 Ein bestimmtes Industrie¬
bild kann durch seine Publikation zu einem exemplarischen "Beweis" für "Präzi¬
sion" einer Branche werden, ein Beweis, der sich von der auftraggebenden Firma
gelöst hat. Das Industriefoto wird in einem neuen medialen Kontext (zunächst
des Drucks und der Printpresse) zur Ikone eines Zeitalters, dessen Geschichtlich¬
keit gerade deshalb erkannt werden kann, weil die Fotografie einen Abstand
zum Dargestellten schafft, indem sie einen unwiederbringlichen Augenblick
darstellt.5 Nicht nur die Produktion von Industriefotografien steigerte sich mit
der fortschreitenden Hochindustrialisierung, sondern auch die Vielzahl ihrer
Zwecke und die Bedeutung ihrer medialen Vervielfältigung. So zeichnete sie
zunächst primär ihr dokumentarischer Zweck aus, interne Zustände zu erfassen,
sekundär und zunehmend wuchtig aber wurde sie auch zu einem Mittel der
Repräsentation der Betriebe. Sie trug im Zuge aufkommender public relations zur
"Pflege des Erscheinungsbildes" in der Öffentlichkeit und in den Belegschaften
selbst bei; in den zwanziger Jahren erfüllte sie diese kommunikative und publi¬
zistische Funktion ziemlich perfekt. Viertens wies die Industriefotografie die
Eigenschaft auf, einen Ausschnitt des sonst Verborgenen, nämlich industrielle
Produktion und industriell geprägtes Leben, ästhetisch und den Bildinhalten
nach kontrolliert, sichtbar zu machen. Nicht-Betriebsangehörige hatten normaler¬
2 Alf Lüdtke, industriebilder - Bilder der Industriearbeit? Industrie- und Arbeiterphotogra¬
phie von der Jahrhundertwende bis in die 1930er Jahre, in: Historische Anthropologie
1 (1993), S. 394-430, hier S. 406.
3 Ein Beispiel bei Alf Lüdtke, Gesichter der Belegschaft. Porträts der Arbeit, in: Bilder von
Krupp. Fotografie und Geschichte im Industriezeitalter, hrsg. von Klaus Tenfelde.
München 22000, S. 67-88, hier S. 79.
4 Matz (Anm. 1), S. 31.
5 Unter Bezug auf Walter Benjamin: Eduardo Cadava, Words of Light. Theses on the
Photography of History, Princeton 1997, S. XX: "reproducibility removes ... (photography)
from temporal and spatial determinations". Wobei zu bemerken ist, dass die historisch¬
kritische Forschungsaufgabe darin besteht, die produzierten Bilder gerade in das ursprüng¬
liche "stratified network of differential sociopolitical relations" zu stellen, Ebd., XXIX.
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