Geschlechter einmischten.30 31 Wenn man bei de Wendel offensichtlich Untermiet¬
verhältnisse vor allem durch die Siedlungsordnungen bekämpfte (allerdings
allmählich tolerierte), wurden sie an anderen Orten akzeptiert oder sogar ge¬
fördert. Einerseits trafen die staatlichen und städtischen Verwaltungen hier auf
die Grenze ihrer konkreten Aktionsmöglichkeiten,'1 andererseits sahen die
Unternehmen vor allem, dass sie auf diese Weise eine größtmögliche Zahl von
Arbeitskräften pro Wohnung gewinnen konnten. Bei Pont-à-Mousson in
Auboué begrüßte man es sogar ausdrücklich, wenn Arbeiter Untermieter nehmen
wollten. Am weitesten ging die Société des Mines de Saint-Pierremont, die
komplizierte Berechnungen anstellte, um herauszufinden, wieviele Bergleute
man pro Wohnung in ihrer im Bau befindlichen Siedlung Mancieulles würde
unterbringen können.
Aus all diesen Befunden ergibt sich eine grundlegende Modifizierung des
Bildes von den Arbeitersiedlungen, wie es immer noch ständig gezeichnet wird.
Auf der Grundlage der lothringischen Industriearchive ist es nicht möglich, die
Arbeiterwohnungen als ein sozialpolitisches Werk im Rahmen eines paternalis-
tischen Unternehmerprojektes darzustellen. Die Siedlungen sind unter dem
subjektiven oder objektiven Zwang einer Situation entstanden, aus der man die
Notwendigkeit des Baus ableitete, ln gewissem Sinne können sie als ein Ele¬
ment im Produktionsapparat betrachtet werden, den anderen Einrichtungen auf
einem Industriestandort völlig vergleichbar. Die Ausstattung der Siedlungen
durch die Unternehmen waren im Übrigen im 19. Jahrhundert ziemlich rudimen¬
tär. Im Wesentlichen handelte es sich um eine Schule und den Kaufladen.
Wieder stand dies unter dem Zeichen von Zwang und Notwendigkeit. Oft war
die örtliche öffentliche Verwaltung nicht in der Lage, den Kindern der Grube
oder der Fabrik eine Schule zur Verfügung zu stellen. Der Kaufladen unterlag
einer ähnlichen Logik wie die Wohnungen: Angesichts der unzureichenden
Zahl von Einzelhandelsläden in den Industriezonen war seine Aufgabe, den
Arbeitern und ihren Familien die unentbehrlichen Grundprodukte zur Verfü¬
gung zu stellen und vor allem einen zu starken Preisdruck zu verhindern, der
sich auf die Löhne hätte auswirken können.
Im Wesentlichen entwickelte sich die Arbeitersiedlung erst nach 1900 aufgrund
der Konjunktur in Richtung auf ein Sozialwerk. Dazu trugen mehrere Elemente
bei. Zunächst war es der tatsächliche oder angenommene Druck des Staates. Seit
dem Ende des 19. Jahrhunderts kam er in den Projekten für Sozialwohnungen
zum Ausdruck, wie sie "Philanthropen" in ihren Bemühungen um die Ver¬
besserung der Wohnungsbedingungen der unteren Klassen auf den Weg
30 Dieses Bild beruht gutenteils auf den Arbeiten von Michel Foucault. Vgl. insbesondere
Lion Murard u. Patrick Zylberman, Le Petit Travailleur infatigable. Villes-usines, habitat
et intimités au XIXe siècle. Paris 1976.
31 ADMos 8 AL 262. Im deutschen Lothringen waren die Verwaltungen gezwungen, für die
Kostgänger Normen festzulegen, die unter denen des Ruhrgebietes lagen: 8m3 statt 10m3 pro
Person.
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