Full text: Forschungsaufgabe Industriekultur

Die latente gewerkschaftliche Legitimitätskrise wurde offensichtlich, als die 
Régie nicht bereit war, den Industrieverband Bergbau als Verhandlungspartner 
bei den Lohnverhandlungen anzuerkennen und ihn an die französischen Ge¬ 
werkschaften verwies. Eine Gewerkschaft, die kaum Mitbestimmungsmöglich¬ 
keiten hat und zudem in ihrer Rolle als Tarifvertragspartner nicht mehr anerkannt 
wird, kann keine Interessenvertretung von Arbeitnehmern wahrnehmen. Ange¬ 
sichts des inflationären französischen Franken und der entsprechenden Furcht 
vor einer Reallohnminderung traf dies im Kern den gewerkschaftlichen Lebens¬ 
nerv. Dabei wurde das Phänomen Inflation national interpretiert bzw. als typi¬ 
sche Schwäche der französischen Wirtschaft. Die Folge war, dass auch profran¬ 
zösische Gewerkschaftskreise von einer "Missachtung demokratischer Prinzi¬ 
pien" sprachen. Auch für andere Bereiche wie etwa für den öffentlichen Dienst 
konnten die Gewerkschaften letztlich keine Tarifautonomie ausüben, vielmehr 
fungierte das Parlament als "Lohnerhöhungsagentur". Für die Gewerkschaften 
war diese Entwicklung insofern existenzgefährdend, als sich das Interesse der 
Arbeitnehmer an einer Mitgliedschaft weiter verringerte.60 
Mit Blick auf die saarländische Öffentlichkeit hätte eine fortschrittlichere Mit¬ 
bestimmung aber das Vertrauen der Arbeitnehmer in die Wirtschaftsunion stär¬ 
ken können. Die französischen Unternehmerpersönlichkeiten und das Hohe 
Kommissariat waren jedoch in ihrer Haltung sehr stark von eigenen Traditionen 
und der Furcht geprägt, weitergehende saarländische Regelungen könnten 
nachhaltige Auswirkungen auf die französische Innenpolitik haben. Es fehlte 
die Überlegung, die Wirtschaftsunion in ihrer Akzeptanz durch ein Mehr an 
Tranparenz stabilisieren zu können. Mitwirkungsmöglichkeiten der Arbeitneh¬ 
mer und Informationspflichten der Arbeitgeber hätten dazu beitragen können, 
der weitverbreiteten Meinung von der Ausbeutung der Saargruben durch die 
Franzosen entgegenzuwirken. Im Gegenteil - gerade durch das Zurückweisen 
von Informationswünschen der Gewerkschaften wurden entsprechende Vorstel¬ 
lungen bestätigt. Entsprechende Angriffsflächen wurden genutzt, so protestierte 
die Einheitsgewerkschaft beim Internationalen Arbeitsamt in Genf und bei den 
Vereinten Nationen, demokratische Rechte würden verletzt.61 
Nicht zuletzt durch das Verhalten der Régie wuchs der IV Bergbau mit seinem 
Vorsitzenden Paul Kutsch, der auch Chef der Einheitsgewerkschaft wurde, als 
mitgliederstärkster Verband in eine Oppositionsrolle. Damit füllte der Verband 
ein Vakuum aus. Im Unterschied zur Völkerbundszeit wurden die Gewerk¬ 
schaften angesichts verbotener prodeutscher Parteien zum Operationsfeld und 
Sammelbecken aller prodeutsch ausgerichteten Kräfte. Da die Régie als eine 
politische Institution mit französischer Führungsmannschaft wahrgenommen 
60 Herrmann (Anm. I ), S. 351. 
61 Heinz (Anm. 20), S. 33, 46. 
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