Angriff auf die nationale Kohlereserve sprach. Die Régie erschien entsprechend
als "Staat im Staate". Diese Gefühle der Fremdbestimmung verfestigten sich.
Obwohl die Verhältnisse nicht mit der Völkerbundszeit gleichzusetzen waren,
verstärkte allein die Erinnerung an sie das Gefühl von Frankreich beherrscht zu
werden. Erinnerungen an diese Jahre vermischten sich mit anderen Alltags¬
erfahrungen, die Gefühle französischer Fremdbestimmung nährten. Hierzu gehör¬
ten Symbole wie die Trikolore, der Französischunterricht schon in der Grund¬
schule oder der französische Nationalfeiertag, an dem Grandval auf Schloss
Haiberg in Saarbrücken zum Empfang einlud und neben der saarländischen
Hymne die Marseillaise erklang.'1
Den Franzosen, die an der Spitze der Régie oder sequestrierten Hütten standen,
wie Robert Baboin oder Georges Thédrel, waren gewerkschaftliche Forderungen
nach Partizipation absolut fremd, sie verstanden sich als Modernisierer der
Saarwirtschaft. Ihre Lösungen blieben technokratisch und blendeten den histori¬
schen Hintergrund der französisch geleiteten Gruben der Völkerbundszeit
ebenso wie die besondere politische Situation der halbautonomen Saar aus. Für
die Gewerkschaften hieß dies, sie blieben wie in der Völkerbundszeit außen vor
und konnten den wirtschaftlichen Prozess nicht mitgestalten. Ihren Vorschlag,
innerhalb des Saargrubenrates gemeinsam mit der Régie bspw. die Gedingekon¬
trolleure auszuwählen, wiesen die französischen Vertreter zurück. Gewerkschafter
und Bergleute fühlten sich angesichts solcher Reaktionen zu "Befehlsempfän¬
gern" degradiert, Vorurteile gegenüber der französischen Besatzungsmacht
verfestigten sich, es wurden Parallelen zur Völkerbundszeit gezogen, wenn auch
objektiv die Situation nicht vergleichbar war. Grandval warnte eindringlich, es
dürfe nicht der Eindruck eines "système colonial" entstehen.57 58 Die französischen
Verantwortlichen übersahen die Chancen, durch eine offensivere Informations¬
politik gegenüber den Gewerkschaftlern Einblick in die wirtschaftlichen Realitä¬
ten zu geben. Immerhin hätte dies dazu beitragen können, Vorurteile gegenüber
Frankreich abzubauen und der Opposition weniger Angriffsflächen zu bieten.
Stattdessen blieb die Chance ungenutzt, die proautonomistischen Gewerk¬
schaftskräfte um Hans Ruffing und Johann Dreher durch eine vertrauensvolle
Zusammenarbeit in ihrem Ansehen bei den Arbeitnehmern zu stärken. Dies war
Ausdruck des französischen Misstrauens gegenüber den Saarländern, bei Wirt¬
schaftsrepräsentanten und der Pariser Administration war es stärker ausgeprägt
als beim Hohen Kommissariat. Die Saarländer sahen darin wiederum eine Be¬
stätigung eines übergroßen französischen Einflusses gerade in der Wirtschaft,
zugleich beobachteten sie, wie die junge Bundesrepublik immer selbständiger
und unabhängiger von den Alliierten agierte.59
57 Armin Beinen, Saarjahre. Politik und Wirtschaft iin Saarland 1945-1955. Stuttgart 1996,
S. 190AF.
58 Herrmann (Anm. 1 ), S. 351.
59 Heinen (Anm. 57), S. 321,368.
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