hatte, lässt sich nun gerade bei Krupp und Stumm sowie ganz ähnlich bei
Bismarck in der Absicht einer ständischen Vergesellschaftung auch der Unter¬
ständischen ziemlich deutlich verfolgen.
Krupp hatte seine schon in den frühen 1840er Jahren entworfene Fabrikord¬
nung nicht zufällig 1848 überarbeitet. Seit 1866 arbeitete er an seinem großen
"General-Reglement", das dann als "General-Regulativ" die Geschicke der Fabrik
über Jahrzehnte bestimmen sollte. Er sah sein Werk als einen Staat, dessen erster
Diener im Geiste Friedrichs des Großen er selbst sei und der auf Ewigkeit ge¬
gründet sei; Pflichten und Rechte für alle Werksangehörigen waren in dieser
"Verfassung" zu dokumentieren. Der Firmenherr wob darin nicht zuletzt sein
eigenes Bild vor der Geschichte. Er ließ in den Tagen der Reichsgründung das
alte "Stammhaus" wiederherstellen. "Treue" war ihm ein besonders wichtiger
Moralbegriff. "Sittlichkeit, verschwistert mit Ordnung und Treue, w'irkt segens¬
reich - ohne sie entsteht Täuschung, Unordnung, Laster, Untreue mit dem
Verderben im Gefolge. [...] Mit solcher Überzeugung der Notwendigkeit ist alles
schlechte Element fernzuhalten und im Gegensatz von Entgegenkommen,
Dienstfertigkeit und Opferwillen gegen die einen, gegen diese die äußerste
Strenge gelten zu lassen. Der Unmoralische ist ohne weiteres Ansehen von
Persönlichkeit und Stellung zu verbannen."31 Als 1872 im Ruhrgebiet der erste
große Bergarbeiterstreik ausbrach, richtete Krupp, ganz im Geiste jener Versamm¬
lung von 1848, Worte "an die Arbeiter der Gußstahlfabrik."32 33 Darin erinnerte er
an die Geschehnisse von 1848 und betonte im selben Geist, "gegenseitige
Treue hat das Werk so groß gemacht"; der Geist "bewährter Treue" sei zu bewah¬
ren, zu warnen sei "vor den Verlockungen einer Verschwörung gegen Ruhe und
Frieden", und gedroht wurde, daß ein jeder, der dagegen verstieße, unweigerlich
vom Werk entfernt würde, und zwar mit der "Versicherung, daß ich in meinem
Hause, wie auf meinem Boden Herr sein und bleiben will."
Für Stumm-Halberg liegen ungleich zahlreichere Zeugnisse seiner sozialpoliti¬
schen Überzeugungen vor.3’ Die Grundzüge seines Denkens werden schon in
seiner Jungfernrede im Reichstag des Norddeutschen Bundes 1867 deutlich. Es
ging um die Koalitionsfreiheit für Arbeiter, genauer, um Beschränkungen der
auch in Stumms Sicht inzwischen unvermeidbar zuzubilligenden Koalitions¬
freiheit. Ganz generell wünschte Stumm "jede Einmischung des Staates in die
Verhältnisse zwischen Arbeitern und Arbeitgebern zu vermeiden", und er hielt
"die Gründung von Pensionskassen für Fabrikarbeiter allerdings für ein sehr
wirksames und notwendiges Korrelat für die Gewährung der Koalitionsfreiheit."
31 Ebd., S. 152 [Hervorhebung in der Vorlage, K. T.].
32 Krupps Briefe (Anm. 15), S. 279f.
33 Zum Folgenden siehe vor allem Hellwig, Stumm-Halberg, 1936 (Anm. 15), S. 178-180ff;
vgl. auch Alexander (Anm. 27), S. 29f, 221 ff; Stalmann (Anm. 27), S. 392-396; über die
zeitgenössische Wahrnehmung am linken Rand des politischen Spektrums siehe Joachim
Heinz, Der "Scharfmacher" aus "Saarabien". Stumm in der sozialdemokratischen Karikatur,
in: Stumm in Neunkirchen (Anm. 15), S. 165-180.
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