Full text: Forschungsaufgabe Industriekultur

an Pünktlichkeit und Leistungsbereitschaft erst noch heranzuführen war. Para¬ 
doxerweise nahm dabei der häusliche Garten als Reminiszenz, aber eben auch ais 
Nahrungssicherung, im Werkswohnungsbau eine wichtige Funktion ein. Und 
fünftens schließlich sollte der Geist der Zugehörigkeit und Gemeinschaftlichkeit 
gefördert werden, wofür etwa um 1910 der Ausdruck '’Werksgemeinschaft" 
stärker aufkam, von "Kruppianem" sprach man in Essen wohl erst seit dem 
Jahrhundertfest 1912. Abweichungen, Unterschiede, scheint es zum einen bei 
den schon erwähnten Konsumvereinen zu geben: Krupps Konsumanstalt, seit 
der Jahrhundertwende ein Großbetrieb im Einzelhandel, entstand seit 1858.29 
Außerdem dürfte Krupp in noch stärkerem Maße die Beamtenschaft gefördert 
und auch durch hohe Gehälter an sich gebunden haben. Ferner erwies sich die 
Trennung in Beamten- bzw. Arbeiter-Kranken- und Pensionskassen bei Krupp 
als die wohl modernere, da in den Risiken besser überschaubare Organisations¬ 
form. 
Auch die Merkmale solcher betrieblichen Sozialpolitik sind vielfach beschrieben 
worden, und in ihnen glichen sich beide Unternehmer wieder sehr: Es wurden 
höhere Löhne gezahlt, als dies regional üblich war; in Krisenzeiten blieben die 
Arbeitsplätze - mit wenigen Ausnahmen - sicher; Gehorsam war unabdingbar; 
Strafen und Gratifikationen wurden strikt und wohlwollend gehandhabt - die 
Arbeitsordnungen geben beredte Kunde von all dem. Stumm sah das ganz 
militärisch, er hatte ja auch gedient, es typischerweise bis zum Reserveoffizier 
gebracht, Krupp nicht. In Essen hielt man besonders viel von der Werksfamilie, 
und das verpflichtete auch später noch besonders die Frauen der Eigentümer. 
Und schließlich, der wichtigste Punkt: Im Verständnis beider blieben soziale 
Maßnahmen des Unternehmers nicht auf den Betrieb in Zeit und Raum begrenzt. 
Sie erfassten den Raum außerhalb des Betriebs und die Zeit außerhalb der 
Arbeit, und das wurde auch in den Arbeitsordnungen etwa mit den Passagen 
zum Wohlverhalten formuliert. Stumm ging darin sehr viel weiter als Krupp, 
dessen Kontrolle der nichtbetrieblichen Lebenswelt schon bald aus Gründen der 
puren Belegschaftszahl, mehr noch wegen der ganz anderen, weniger isolierten 
Umgebung der Betriebe im Ruhrgebiet, an Grenzen stieß. Stumm erteilte Arbei¬ 
tern ab 24 Jahren den Heiratskonsens und entließ den, der sich nicht fügte; 
beide verboten die Lektüre sozialistischer Zeitungen, aber vor allem Stumm tat 
noch mehr, er suchte Einfluss auf die überhaupt erhältlichen Zeitungen zu 
gewinnen und untersagte den Besuch von Gaststätten, in denen nicht genehme 
Zeitungen auslagen. Beide bekämpften Vereinsbildungen, die nicht unter ihrer 
Kontrolle standen, vor allem gewerkschaftliche Fachvereine, egal, ob christlich 
oder freigewerkschaftlich, und selbstverständlich die Sozialdemokratie auf das 
Schärfste. Im Saarrevier reichte das bekanntlich bis zu einem "Sozialistengesetz" 
eigener Art, als es Stumm schon 1877 gelang, nicht nur die sonstigen größeren 
29 Vgl. Hellwig, Stumm-Halberg, 1936 (Anm. 15), S. 304. 
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