statt einer Analyse im Detail in übergreifender Absicht zu argumentieren. Die
Instrumente sind wohl bekannt und waren seit dem späteren Vormärz verbreitet,
wurden auch in der bürgerlichen und konfessionellen Sozialreform propagiert.
Sie erklären sich aus traditionellen Formkräften, jedoch sowohl bei Krupp als
auch bei Stumm wohl weniger aus altbürgerlicher Philanthropie, sowie aus dem
Vakuum sozialer Bindungen und auch Sicherungen, das die Liberalisierung in
der Welt der Gewerbe hinterlassen hatte. Krupp begann schon 1836 mit einer
Fabrikkrankenkasse, für die er 1853 Beitrittszwang bestimmte. Hier wie bei
Stumm waren die benachbarten Knappschaften Vorbild, und das Instrument
wurde fortwährend ausgestaltet, indem der Kreis der Berechtigten und die Leis¬
tungen erweitert wurden. Krupp errichtete Krankenhäuser und eine Zahnklinik,
Genesungs- und Altersheime, ebenso wie Stumm. Die Firmenleitungen dispo¬
nierten über soziale Sonderfonds für Bedürftige, das Sparen wurde maßgeblich
unterstützt, auch der Abschluss von Lebensversicherungen. Es wurden Men¬
agen für ledige Arbeiter und dann vor allem Werkswohnungen errichtet, bei
Krupp allein zwischen 1870 und 1874 nicht weniger als 3200 Arbeiterwoh¬
nungen - das Problem der Heranziehung und Bindung befähigter Arbeiter und
ihrer Familien brannte in Essen sehr viel mehr auf den Nägeln als in Neunkir¬
chen. ln Essen wurde die Konsumanstalt zu einem eigenen Riesenbetrieb. In der
Spätphase betrieblicher Sozialpolitik griff man mehr und mehr zu dem Instrument
der Stiftungen. Nach der Jahrhundertwende verwandte Krupp jährlich durch¬
schnittlich 1 1 Mio. Mark auf freiwillige betriebliche Leistungen, und nur
30 Prozent seiner gesamten Sozialleistungen entfielen auf gesetzlichen Zwang
- für Stumm sind mir entsprechende Zahlen nicht bekannt, aber sie dürften
prozentual nicht weit dahinter zurückfallen.
Man kann, mit Bezug auf die Unternehmensziele, fünf Aufgaben solcher be¬
triebsverbundenen Sozialpolitik ausmachen. Sie diente, erstens, der Bindung
der Arbeiter an den Betrieb, um die vor allem in starken Wachstumsphasen sehr
missliche Fluktuation zu unterbinden und einen festen, langjährigen Arbeiter¬
stamm zu formen; Jubilarehrungen hatten deshalb ihren wichtigen Platz, ebenso
wie Gratifikationen und die Vermittlung sonstiger Ehren. Damit verband sich,
zweitens, die Sicherung eines hohen Ausbildungsstandards, den man noch weit
gehend durch Erfahrungswissen herzustellen glaubte, aber Krupp begann sehr
früh mit der Fabrik-Lehrlingsausbildung. Sowohl bei Krupp als auch bei Stumm
waren die Belegschaften besonders stark hierarchisiert, was sich, drittens, in
einer besonders ausgeprägten Disziplinierung und Privilegierung des betrieb¬
lichen Führungspersonals niederschlug. Dessen Loyalität wurde besonders
strikt definiert, und das wurde um so wichtiger, je mehr man technischen und
kaufmännischen Personals bedurfte. Viertens dienten solche Maßnahmen in
einem allgemeineren Sinn der Assimilation und raum-zeitlichen Disziplinierung
einer Arbeiterschaft, die ja, im Übergang zur Arbeits- und Industriegesellschaft,
an die Rhythmen etwa der Schichtarbeit, an strikt arbeitsteilige Verrichtungen,
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