Zwischen Administration und Unternehmertum
Die Unternehmensleitung der preußischen Staatsgruben an der
Saar im 19. und frühen 20. Jahrhundert
Ralf Banken
Einleitung
Trotz des in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland vorherr¬
schenden Wirtschaftsliberalismus besaßen sowohl das Reich als auch Länder
und Kommunen einen umfangreichen Unternehmensbesitz. Neben Staatsunter¬
nehmen im Verkehrs- und Kommunikationswesen sowie der Versorgungswirt-
schaft waren vor allem die Länder Inhaber zahlreicher Unternehmen im Bergbau
und der Industrie. Trotz des beachtlichen Anteils staatlicher Unternehmen in
zahlreichen Industriebranchen1 ist allerdings die Entwicklung der Staatsunter¬
nehmen und ihre Bedeutung für die deutsche Wirtschaftsentwicklung bisher nur
vereinzelt untersucht worden. Noch seltener standen dabei unternehmenshisto¬
rische Aspekte im Blickpunkt.2 3 Fragen der Unternehmenspolitik und Unter¬
nehmensorganisation, denen sich die Unternehmensgeschichte in den letzten
Jahren verstärkt widmete, blieben zumeist unberücksichtigt. Dieses ist um so
unverständlicher, wenn man bedenkt, dass die staatlichen Verwaltungen im
19. Jahrhundert zunächst ein Vorbild für die neu entstehenden Großbetriebe der
Industrie darstellten.'
1 So besaßen die preußischen Staatsgruben im Steinkohlenbergbau vor dem Ausbruch des
Ersten Weltkriegs ca. 15% der oberschlesischen, ca. 11% der Ruhrkohlen- und 70% der
Kohlenförderung an der Saar. Für Ruhr und Oberschlesien siehe Eckhard Wandel, Die
wirtschaftliche und fiskalische Bedeutung der öffentlichen Betriebe im Deutschen Kaiser¬
reich, in: Probleme der Finanzgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, hrsg. von Dietmar
Petzina. Berlin 1989 (= Schriften des Vereins für Socialpolitik; 188), S. 137-150, hier
S. 146. Für die Saar: Ralf Banken, Die Industrialisierung der Saarregion 1815-1914. Bd. 1:
Die Frühindustrialisierung 1815-1850. Stuttgart 2000, Anhang Tabelle A7.
2 Nur wenige Einzelstudien beschäftigen sich mit der Entwicklung und Bedeutung von
Staatsuntemehmen. Gerade erschienen: Jan-Otmar Hesse, Im Netz der Kommunikation. Die
Reichs-Post- und Telegraphenverwaltung 1876-1914. München 2002; Matthias Kipping,
Aspekte der Beziehungen zwischen Staat und Unternehmen. Lektionen für die Bedeutung
des internationalen Vergleichs in der Unternehmensgeschichte, in: Kulturalismus, neue
Institutionenökonomik oder Theorienvielfalt. Eine Zwischenbilanz der Unternehmens¬
geschichte, hrsg. von Jan-Otmar Hesse, Christian Kleinschmidt u. Karl Lauschke. Essen
2002, S. 275-288. Zur älteren Literatur siehe: Gerold Ambrosius, Der Staat als Unterneh¬
mer. Öffentliche Wirtschaft und Kapitalismus seit dem 19. Jahrhundert. Göttingen 1986;
ders., Die öffentliche Wirtschaft in der Weimarer Republik. Kommunale Versorgungs¬
unternehmen als Instrumente der Wirtschaftspolitik. Baden-Baden 1984. Speziell zum
Staatsbergbau siehe: Max Schulz-Briesen, Der preußische Staatsbergbau im Wandel der
Zeiten. 2 Bde. Berlin 1933/1934; Evelyn Kroker, Bergverwaltung, in: Deutsche Verwal¬
tungsgeschichte. Bd. 111: Das Deutsche Reich bis zum Ende der Monarchie, hrsg. von Kurt
G. A. Jeserich, Hans Pohl u. Georg-Christoph von Unruh. Stuttgart 1984, S. 514-527.
3 Jürgen Kocka. Unternehmer in der deutschen Industrialisierung. Göttingen 1975, S. 86-87.
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