Positionsfestigung an der Saar oder Produktionsverlagerung nach
Lothringen?
Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgte Einführung der Hochofengas¬
maschinen bestärkte ohne Zweifel die Eisenhüttenunternehmen in ihrem Be¬
streben, Hochöfen, Stahlwerke und Walzwerke zusammenzulegen. Diese pro¬
duktionstechnische Innovation stellte insbesondere die Eisenindustriellen an
der Saar vor eine unausweichliche und schwer wiegende Entscheidung: Posi¬
tionsfestigung an der Saar oder Produktionsverlagerung nach Lothringen? In
der Tat hatten die meisten Eisenhüttenunternehmen des Saarreviers seit den
1880er Jahren Tochterwerke in Lothringen oder in Luxemburg errichtet, respek¬
tive sich an solchen beteiligt (wie das eben besprochene Beispiel Burbach-
Esch/Schifflingen zeigt). Es handelte sich hierbei ausnahmslos um reine Hoch¬
ofenwerke, deren Produktion größtenteils dazu bestimmt war, die Saarhütten mit
kostengünstigem Roheisen zu versorgen. Vom Standpunkt der Saarindustriellen
aus gesehen war der niedrigere Gestehungspreis des Roheisens in Lothringen
und Luxemburg nicht allein auf die Verhüttung der Minetteerze vor Ort zurück¬
zuführen, sondern auch durch die Kohlenfrage an der Saar mitbestimmt. Die
Versorgung mit Saarkohle war nämlich zeitweise mengenmäßig unsicher und
qualitativ mangelhaft, so dass beispielsweise das an der lothringisch-luxembur¬
gischen Grenze gelegene Tochterwerk Redingen, das nur mit Ruhrkoks ar¬
beitete, relativ billiger produzieren konnte als die Dillinger Hütte selbst.' Erblies
man also Roheisen an einer günstig gelegenen Stelle in Lothringen mit eigenen
Erzen und westfälischem Koks, beförderte es etwa nach Neunkirchen und
schmolz es dort um, so kostete es rechnungsmäßig frei in den Konverter weniger
als das in Neunkirchen selbst erblasene Roheisen. Die größere Qualität des
Ruhrkokses fiel dabei wesentlich ins Gewicht.'s
Gerade diese Gegebenheiten hatten u.a. die Eisenindustriellen der Dillinger
Hütte im Jahr 1884 dazu bewogen, die Kaltstellung des Dillinger Hochofens zu
beschließen und das gesamte Roheisen fortan aus dem lothringischen Redingen
zu beziehen. Mit der Einführung des Roheisenmischers und der Großgasmaschi¬
nen zum allgemeinen Kraftantrieb wurden jedoch die Erwägungen umgestoßen,
die seinerzeit zur Einstellung des Hochofenbetriebs in Di Hingen geführt hatten.
Die gewaltige Steigerung der Erzeugung und somit der wachsende Bedarf an
Energie zum Antrieb von Kraftmaschinen drängte die Werksleitung der Dillinger
Hütte zu einer erneuten Prüfung der Kohlenfrage, umso mehr als die Wärmewirt¬
schaft "das noch am unvollständigsten gelöste Problem der Hütte" war. Die
Dillinger Hütte beschloss schließlich, einen zweigeteilten Kohlenfelderbesitz bei
Morhange in Lothringen zu erwerben sowie dem Hauptwerk wieder eine Hoch-
37 Hermann van Ham, 250 Jahre Dillinger Hütte. Beiträge zur Geschichte der Aktiengesell¬
schaft der Dillinger Hüttenwerke 1685-1935. Saarlautem 1936, S. 191-192.
38 Fünfviertel Jahrhundert Neunkircher Eisenwerk und Gebrüder Stumm. Mannheim 1935,
S. 47-49.
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