Zweitens ist die Technik in den Rahmen der politischen Bedingungen zu
stellen. Das gilt zum einen für die nationalen Herrschaftsverhältnisse - vor allem
in einem Grenzraum, in dem die Grenzen nicht stabil sind. Zum andern können
politische Faktoren am Verhältnis von Staat und Unternehmertum besonders
prägnant herausgearbeitet werden. Politische Bedingungen vermochten die
Chancen oder Schranken für technologischen Transfer nachhaltig zu beein¬
flussen, wenngleich solche Wirkungen im einzelnen höchst unterschiedlich
verliefen. Die starke Stellung des Staates im Bergbau bezeichnet im Vergleich
eine der wichtigsten Eigenheiten der Saarregion, welche Verhaltensweisen und
Strukturen gleichermaßen prägte. Dem Gewicht administrativer und fiskalischer
Strukturen wird ebenso nachgegangen wie den Wirkungsmöglichkeiten von
Unternehmerpersönlichkelten und Beamten, von denen die Ausformung der
unterschiedlichen Untemehmenskulturen wesentlich geprägt wurde. Ralf Ban¬
ken wählt hier den Zugang vom Bergbau aus, Klaus Tenfelde den Unternehmer-
Vergleich zwischen Stumm und Krupp. Hans-Christoph Seidels Vergleich der
Ausländerarbeit im II. Weltkrieg an Saar und Ruhr bringt die Verschränkung der
Grenzsituation einerseits mit den Rahmenbedingungen der Diktatur und der
Kriegswirtschaft andererseits in die Analyse der Industriekultur ein, er geht
Kommunikationsstrukturen und dem Alltag rassistischer Betriebspolitik nach. In
den deutschen Übergriffen auf die lothringische und luxemburgische Industrie
im II. Weltkrieg werden in einem solchen Grenzraum, beispielsweise in der
Tätigkeit von Hermann Röchling,7 auch die Ambivalenzen von Vernetzungen
besonders deutlich.
Drittens treten zu den Untemehmerkulturen die Lebenswelten der Arbeiterkultur
und -organisation. André Gounot analysiert sie am Beispiel des Sports in seiner
Verflechtung mit politischen und weltanschaulichen Orgamsationskulturen,
sozialen Schichten und nationalen Eigenheiten. Susanne Nimmesgern verfolgt
den Wandel der Lebenswelten der Arbeiterfrauen an der Saar in ihren kulturellen,
ökonomischen, sozialen und alltagsgeschichtlichen Dimensionen durch das 20.
Jahrhundert. Die spezifischen politischen Bedingungen an der Saar nach den
beiden Weltkriegen prägten tiefgreifend die regionale Gewerkschaftsbewegung
und formten - bei wesentlichen Unterschieden, vor allem hinsichtlich des nach
1945 sehr starken sozialpolitischen Engagements des Staates - Arbeitskämpfe zu
nationalen Auseinandersetzungen um, wie Hans-Christian Herrmann darlegt.
Gerade dieses transnationale Erbe entfaltete aber auch seine konstruktive Ambi¬
valenz in dem Aufbau des international ersten Interregionalen Gewerkschaftsrates
IRG, der 1976 für den Raum Saar-Lor-Lux gegründet und zur Pilot-Organisation
für bisher 33 IRG auf europäischer Ebene wurde. Sylvain Schumann stellt ihn
dar. Organisationsstrukturen und Kulturen der Arbeiterschaft als Formierungs¬
7 Vgl. Hans-Christian Herrmann, Plante Hermann Röchling 1940 ein zusammenhängendes
Montanrevier Saar-Lor-Lux? in: Zs. für die Geschichte der Saargegend 42 (1994), S. 214-
224.
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