Manfred Schmeling
Mischung als Konzept
Ein Aspekt kultureller Grenzüberschreitung in
KULTURWISSENSCHAFT UND LITERARISCHER PRAXIS
I. Zur Metaphorologie der „Mischung“
Das Thema „Grenzkultur - Mischkultur?“ läßt sich enger oder weiter, konkreter
oder theoretischer diskutieren. Ich habe mich für eine eher theoretische, kultur-
und literaturwissenschaftliche Perspektive entschieden. In dieser Perspektive
sollen Überschreitungen und Mischungen als Projekte interkulturellen Handelns
und Schreibens dargestellt werden. Es geht mir also weniger um die Diskussion
eines bestimmten empirischen Bereichs als um grundsätzliche Überlegungen.
Mit Grenzkultur zu tun hat das kulturelle Subjekt überall dort, wo kulturelle
Grenzen zu öffnen bzw. zu überwinden sind oder wo sich solche Grenzen als
„fließend“ präsentieren. Als Grenzgänger in diesem Sinne zu definieren sind
unter anderem Reisende im fremden Land, Migranten und Exilanten, Vertreter
kultureller Minderheiten, der in zwei oder mehr Kulturen und Sprachen lebende
Autor. Regionale Mischkulturen bestimmter Grenz-Gegenden - Alpen-Adria-
Raum, saarländisch-lothringischer Grenzraum usw. - sind in diesem
Zusammenhang gewiß ein zentraler Gegenstand interkultureller Forschung,
ebenso wahr jedoch ist, daß die Erfahrungen und Manifestationen von
Grenzgängertum und kultureller Hybridität weit über diese spezielle räumliche
Dimension hinausreichen. Dabei bedingt der besondere Gegenstand auch beson¬
dere Methoden. Denn wenn die Lebenswelt interkulturell strukturiert ist und die
aus ihr hervorgegangenen kulturellen Produkte ebenfalls, so ist der Betrachter
solcher Produkte, der Literaturwissenschaftler in diesem Fall, gehalten, monoli¬
thische Denktraditionen, nationale Perspektiven und kulturspezifische
Vorstellungen zu transzendieren. Grundlage der interkulturellen Analyse sind
einerseits die „Kontakte“, d.h. die konkreten Formen und Ebenen der
Begegnung, sowie andererseits der „Vergleich“ als Verfahren. Die Analyse von
Relationen, Kontakten, Mischphänomenen, Grenzüberschreitungen usw. ist eine
vergleichende Tätigkeit. Das gilt im übrigen nicht nur für das analytische
Vorgehen in engeren Sinne, sondern bereits für die Ebene der lebensweltlichen
Erfahrung. Der kulturelle Grenzgänger erlebt die Welt nicht anders als verglei¬
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