Volkstumsfragen geübt hätte. Im Gegenteil: Wilhelminische Zwangsassimilie-
rungsversuche, der Erste Weltkrieg, polnische und tschechische Irredenta,
Abstimmungskämpfe und Gebietsabtretungen seit 1919, Hitlers Ostpolitik und
der Zweite Weltkrieg sowie die neuen Grenzen seit 1945 stellten vielmehr
ständige massive und nicht selten unmenschliche Eingriffe in gewachsene
Strukturen dar. Der Konflikt, in den auch der Schriftsteller Scholtis mit jeweils
wechselnden Machthabern geriet, war somit zwangsläufig.
Am großen Kritikererfolg seines Debütromans Ostwind, eines literarischen
Geniestreichs in der letzten Phase der Weimarer Republik, konnte sich der
Autor daher auch nicht lange freuen. Schon ein halbes Jahr später wurde das
Buch von der gerade etablierten NS-Regierung verboten. Scholtis sah sich da¬
her in den 30er Jahren zu einiger Zurückhaltung gezwungen bzw. zeigte sich zu
mancher Anpassung bereit, nicht aber zu einer grundsätzlichen Korrektur seiner
Überzeugung. Der nächste Schlesien-Roman Baba und ihre Kinder, 1934 noch
im jüdischen Cassirer-Verlag erschienen, steuerte wiederum auf Einsichten hin¬
aus, die der offiziellen Volkstumspolitik zuwiderliefen. Grundsätzlich, lehrt
dieser Text, sei kein großer Unterschied zwischen Polen und Deutschen, wenn
dieser nicht durch Politik oder klerikale Agitation von außen hineingetragen
werde.8 Auch seine kurzen Hinweise zur mährisch-tschechischen Bevölkerung
sind durchaus wohlwollend (S. 288-290). Von einer Rangordnung der Völker
will Baba nichts wissen, die sympathietragende Hauptfigur des Romans. Die
erdhaft-dralle Matrone zeigt sich ohnehin allen großen Worten und Parolen ab¬
hold. Ihre Aktivitäten konzentriert sie vielmehr darauf, ihre zahlreichen, meist
unehelichen Kinder durchzubringen. Mit dem typischen Realismus des
Underdogs begreift sie nationalistische Überhitzungen als nachrangiges Aus¬
weichen vor der Lösung dringender sozialer Probleme und reduziert solche
politischen Fragen auf ihr Kalkül alltäglicher Lebensbewältigung. Sie kann da¬
bei auch - je nach Notwendigkeit - sich an die preußischen Pane halten oder im
Sinne des katholischen Pfarrers für Polen optieren, sie kann scheinbar unidea¬
listisch opportunistische Vorteile aus solchen Querelen ziehen, und manches
mehr.
Bei Scholtis werden die dortigen sozialen Verhaltensweisen, Kultur- und
Sprachphänomene als typische Mischprodukte gezeigt. Sein Spott gilt allen
Versuchen, politische mit linguistischen Grenzziehungen zu identifizieren. Baba
(wie Strolch Truba im Eisenwerk) redet nun mal keine reine Staatssprache,
sondern eine Mischung aus Deutsch und Polnisch respektive Oberschlesisch und
Wasserpolnisch. Auch Mährisch kommt hinzu. Sie spreche mit ihren Kindern
nicht deutsch, beharrt sie in trotziger Replik auf entsprechende Vorhaltungen,
sondern „jakschä träffy, wie sichs trifft“ (S. 224). Der Förster, der nicht pol¬
nisch und der neue Schulmeister, der nicht deutsch könne, „seien alle beide
dumm und paßten zueinander wie die Faust aufs Auge. Gottlob könne sie noch
8 Scholtis: Baba, S. 276, 278f.
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