kosmos durch die unierten Kirchen zu fragen.12 Da es an kulturellen Grenzen
zu bestimmten Verhaltensmustern kommt, stellt sich zugleich auch die Frage
nach dem Umgang der verschiedenen Gesellschaften miteinander; hierbei geht
es also um die Praktiken der Abgrenzung.13
Wolfgang Haubrichs und Reinhard Schneider weisen in ihrem 1994 in
Saarbrücken erschienenen Symposiumsband über „Grenzen und Grenzregionen“
auf die „Aktualität des Nachdenkens über Grenzen“ hin. Dies gilt „im Gefolge
der regionalen Umwälzungen“, wie sie betonen, auch für Mittel- und Ost¬
europa.14 * Die Region zwischen Ost und West löst die unterschiedlichsten Ur¬
teile aus. Hannah Ahrendt bezeichnete sie als einen „Hexenkessel des gegen¬
seitigen Hasses“, Joseph Roth charakterisierte sie als eine zum Untergang verur¬
teilte Region, aber anmutiger als alles Nachkommende. Die Urteile über
Geschichte und Kultur dieser Grenzlandschaften schwankten demnach zwischen
„Bastard“ und „glücklicher Kreuzung“.13
Zwei Tagungen 1997 in Freiburg und 1998 im ukrainischen Lwiw (Lemberg)
widmeten sich dem Thema „Gespräch über Grenzen“. Während bei dem ersten
Treffen ukrainisch-polnische Erfahrungen im Vordergrund standen, kam bei
der zweiten Begegnung neben der ostmitteleuropäischen Grenze auch der
deutsch-französische Kontext hinzu.16 Eine vergleichbar fortgeschrittene
Forschungstradition wie zur deutsch-französischen und österreichisch-italieni¬
schen Grenzregion gab es im östlichen Europa bis vor kurzem noch nicht. Dies
kann im konkreten Fall auch für die unierten Kirchen in Anspruch genommen
werden, zumal solche grenzbildenden Phänomene bis zum politischen
Systemwechsel als Tabus galten. Heute erlebt das Thema unierte Kirchen einen
regelrechten Forschungsboom, der in der Ukraine am stärksten ausgeprägt ist.
12 Kultur wird im folgenden im anthropologischen Sinn als Summe von Wissen, als
Ansammlung von Institutionen und als verbindlicher Sinnkosmos sehr weit gefaßt.
Osterhammel (Anm. 2), S. 101; Fisch, Jörg: „Zivilisation, Kultur“, in: Otto Brunner/
Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hgg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Historisches
Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 7, Stuttgart 1992, S. 771 f.
13 Osterhammel (Anm. 2) (S. 120-121) erwähnt mehrere Möglichkeiten: Inklusion,
Akkomodation, Assimilierung, Exklusion, Segregation, Extermination, oder Selbst-
Integration, Selbst-Assimilation, Selbst-Exklusion.
14 Haubrichs, Wolfgang / Schneider, Reinhard: „Einleitung“, in: Dies. (Hgg.), Grenzen und
Grenzregionen. Frontières et régions frontalières, Saarbrücken 1994 (Veröffent¬
lichungen der Kommission für Saarländische Geschichte und Volksforschung 22), S. 11.
13 Schattkowsky (Anm. 4), S. 23.
16 Abdruck des Großteils der Beiträge in den Nummern 1997, Heft 11 und 1998, Heft 12
der Kulturzeitschrift Ji.
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