Im „Grenzraum des Abendlandes“, wie Oskar Halecki Ostmitteleuropa bezeich-
nete, treffen die unterschiedlichsten Merkmale der dynamischen und stationären
Kultur aufeinander. Im Gegensatz zu den großformatigen Einheiten im Osten
und Westen brachte an den Rändern der Territorialisierungsprozeß Grenzland¬
schaften hervor, die, auch wenn die Lage zwischen verschiedenen Reichen und
der Wechsel von Herrschaften nicht selten zu verheerenden Kriegszügen geführt
hatte, zwischen Zentralität und Regionalität eine gewisse Eigenständigkeit
errangen. Die fehlende traditionelle oder gar ethnische Bindung an das
Großreich förderte nicht nur eine gewisse Autonomie der Grenzlandschaft,
sondern verbesserte auch die Praktikabilität der Herrschaft.* 4 In den Grenzland¬
schaften machten sich der zivilisatorische Einfluß und die dabei zu
gewinnenden Vorteile des jeweiligen Herrschaftsstaates bemerkbar. Die
Grenzregionen Ostmitteleuropas waren in ihrer peripheren Lage nicht nur ge¬
ring besiedelt, sondern vor allem wirtschaftlich rückständiger als das Zentrum.
Dies diente nicht selten als Abgrenzungseffekt. Zugleich entwickelte die
Bevölkerung eine Grenzmentalität.5
In der Neuzeit waren diese Regionen durch einen abgebrochenen, unvollendeten
oder verspäteten Nationsbildungsprozeß gekennzeichnet. Die starke ethnische
Durchmischung führte in den Landschaften während der Zeit des „nationalen
Erwachens“ und der Nationalstaatsbestrebungen zu ethnisch-nationalen Konflik¬
ten. Forderungen nach klaren politischen Landesgrenzen kollidierten mit
unklaren Sprach- und Volksgrenzen.6 Dies hatte nicht zuletzt für Ostmittel¬
europa Überlegungen zur Folge, die vom Nationalstaat als „lebensfremder
Doktrin“ sprachen und dafür übernationale Konzeptionen in den Vordergrund
stellten.7
Als spezifisches Phänomen des „Grenzraumes“ Ostmitteleuropa gelten die
unierten Kirchen. Sie entstanden überall dort, wo sich christliche Ost- und
Daraus insbesondere Cox, H. L.: „Kulturgrenzen und nationale Identität“, S. 7-13;
Hörandner, Edith: „Kultur-Raum-Grenze“, S. 27-37.
4 Schattkowsky, Ralph: „Das Land zwischen Ost und West. Regionalität und Herrschaft im
östlichen Mitteleuropa“, in: Mieczyslaw Wojciechowski/Ralph Schattkowsky (Hgg.),
Historische Grenzlandschaften Ostmitteleuropas im 16.-20. Jh. Gesellschaft - Wirtschaft
-Politik, Toruri 1996, S. 17.
5 Grimm, Frank-Dieter: „Veränderte Grenzen und Grenzregionen, veränderte Grenz¬
bewertung in Deutschland und Europa“, in: Ders. (Hg.), Regionen an deutschen Grenzen.
Strukturwandel an der ehemaligen innerdeutschen Grenze und an der deutschen
Ostgrenze, Leipzig 1995 (Beiträge zur Regionalen Geographie, 38), S. 1-16 (hier S. 2).
6 Conze, Werner: Ostmitteleuropa von der Spätantike bis zum 18. Jahrhundert, München
1992, S. 106-107; ders.: „Die Strukturkrise des östlichen Mitteleuropas vor und nach
1919“, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 1 (1953), Heft 4, S. 319-320.
7 Conze, Werner: „Hans Rothfels“, in: Historische Zeitschrift 237 (1983), S. 327-328.
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