Seit Mai 1998 haben in Frankreich wohnhafte EU-Bürger das aktive und pas¬
sive Wahlrecht bei den Kommunalwahlen. Schon 1994 stellten sie in 17
Gemeinden mehr als 10% des Wählerpotentials, in dreien sogar über 30% - bei
steigender Tendenz! So fürchten die Einheimischen schon jetzt wachsenden
politischen Einfluß der Deutschen, auch wenn das Gespenst eines teutonischen
Bürgermeisters auf französischem Boden durch das Gesetz unmöglich gemacht
wird. Andererseits sieht man dort kaum eine Kompensation durch wirtschaftli¬
che Vorteile, die sich aus der Präsenz der Deutschen ergeben könnten.
Entsprechend reagieren die Bürgermeister: 65% stehen einer Wahlbeteiligung
von Deutschen reserviert gegenüber, 86% würden den Zuzug gern stoppen.
Und wenn sie nur dürften, würden immerhin 26% die Zuwanderung sogar un¬
terdrücken, [pour] „protéger les caractéristiques, le patrimoine et l’identité de
leur commune“ (Ramm 1999a, S. 199, 188).
4 Grenzübergreifende Kontakte mit Bezug auf Bildung und Kultur
( Funktionen Sich-Bilden und In-Gemeinschaft-Leben)
Der vielleicht gewichtigste Vorwurf der einheimischen Lothringer jedoch zielt
auf die mangelnden oder fehlenden Sprachkenntnisse der zugezogenen
Saarländer (Ramm 1999a, S. 255). Zu alledem tendieren diese dazu, generell
deutsch zu sprechen, vermutlich in der Meinung, das sei diesseits der Sprach¬
grenze wohl normal. Die Einheimischen, so Ramm (1999b, S. 114), würden
dadurch „irritiert, da sie dies als Gefährdung ihrer Kultur empfinden“, ja, vor
allem Ältere mit Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, sich sogar „erobert“
fühlen. Abgesehen von fehlendem Einfühlungsvermögen äußert sich hier eine
gravierende Fehleinschätzung der Deutschkenntnisse: Nur noch ein sehr
geringer Anteil an Grundschülern spricht regelmäßig den lothringischen
Dialekt; lediglich in den beiden elsaßnahen Cantons Bitche und Sarreguemines
werden 20% überschritten (Ramm 1999a, Bd. II, carte 49). Inzwischen werden
zunehmend Anstrengungen für eine zweisprachige Ausbildung in Vor- und
Grundschulen unternommen. Eine Besonderheit ist seit 1990 das Intensiv¬
programm „Voie spécifique Mosellane“, das jedoch mit erheblichen Schwierig¬
keiten zu kämpfen hat und, abermals, weitgehend auf den Raum Bitche
beschränkt bleibt (vgl. Inspection académique de la Moselle 1999b). Von den
1996 knapp 1.400 Deutschen unter 18 Jahren im Département Moselle gingen
rund 40% in Lothringen in eine Vor- oder Grundschule. Allerdings ist dies
keineswegs eine Freikarte für Zweisprachigkeit bei Schulabschluß, denn nach
Meinung der Lehrer beherrschen nur 33% der deutschen Schüler die
französische Sprache gut, weitere 33% mittelmäßig, 20% sehr begrenzt, 14%
überhaupt nicht (Ramm 1999a, S. 263)! Angesichts der weitgehend verschwun¬
denen Praxis des deutschen Dialekts bzw. des Deutschen und der erheblichen
Hemmnisse im schulischen Angebot müssen die allzu verspäteten Hoffnungen
auf eine Wiedergeburt der Zweisprachigkeit pessimistisch beurteilt werden.
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