1946-1952 die magische Ziffer von 50.000 Zuwanderern „aus dem ethnisch
fremden Süden“ kolportiert, die unweigerlich zu einem „Todesmarsch“ der
Südtiroler Volksgruppe führen müsse, wie Kanonikus Michael Gamper,
Chefredakteur der Tageszeitung „Dolomiten“, 1953 publikumswirksam kund¬
tat.48
Die Parole vom „Todesmarsch“, die Anklänge an die Vertreibung der
Deutschen aus dem Osten nach 1945 wachrief, überging allerdings die
Tatsache, daß trotz italienischer Populationszunahme in Bozen der natürliche
Bevölkerungszuwachs in den Landregionen Südtirols seit 1950 das Bevöl¬
kerungswachstum der anderen Sprachgruppe an Dynamik weit übertraf. Die
„Todesmarschparole“ erfüllte den funktionalen Effekt einer Mobilisierung der
Südtiroler, wie der Journalist und Historiker Claus Gatterer scharfsichtig
feststellte: „Der Faschismus hatte die Südtiroler unter der Drohung der
Bajonette und der Gewalt zur Einheit gezwungen; die Untergangsdrohung des
Todesmarsches bewirkte im demokratischen Klima den gleichen Effekt. Solang
die Parole gültig war, solang sie sich glaubhaft verkaufen ließ, konnte man der
Einheit der Minderheit ebenso gewiß sein wie vieler Sympathien im mitteleu¬
ropäischen Raum.“49
Ab 1956 setzte in der Provinz Bozen eine Attentatswelle ein, deren Verant¬
wortliche zunächst junge Südtiroler waren, die mit den Anschlägen zumindest
die Autonomie des Landes, womöglich aber die Selbstbestimmung „herbei¬
bomben“ wollten. Bald geriet auch Bozen ins Zentrum der Anschlagswelle.
In der „Feuemacht“ vom 11. zum 12. Juni 1961 legten Sprengstoffattentate die
Stromversorgung der Provinzhauptstadt still und versetzten die italienische
Bevölkerung in Schrecken, zumal ein Straßenarbeiter beim Versuch der
Entfernung einer Sprengladung starb.50
Trotz sofortiger Reaktion und brutaler Repression des Staates mit Folterungen
von Verhafteten durch Carabinieri-Beamte sowie stark besuchter Demonstra¬
tionen zur Wahrung der „Italianità“ der Provinz Bozen unterblieben gewalt¬
same Konfrontationen zwischen den Bevölkerungsgruppen. Die seit langem
erprobte Segregation der Ethnien führte dazu, daß man sich in der Krisen¬
situation gleichsam automatisch aus dem Weg ging und Auseinandersetzungen
48 Vgl. Hillebrand, Leo: Medienmacht & Volkstumspolitik. Michael Gamper und der
Athesia-Verlag (Geschichte und Ökonomie, 5), Innsbruck-Wien 1996, S. 114f.
49 Gatterer, Claus: Im Kampf gegen Rom. Bürger, Minderheiten und Autonomien in Italien,
Wien-Frankfurt-Zürich 1968, S. 1000-1003, hier: 1002.
50 Zusammenfassend Steininger, Südtirol zwischen Diplomatie und Terror, Band 2:1960-
1962, S. 476-512. Anschaulich Baumgartner, Elisabeth / Mumelter, Gerhard / Mayr,
Hans: Feuernacht. Südtirols Bombenjahre. Ein zeitgeschichtliches Lesebuch, Bozen
1992.
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