sierungsprozeß politische Akteure, soziale Gruppen und Individuen der Sprach-
gruppen einander wieder näher.
Im Mittelpunkt stand vorerst der Wiederaufbau der von den Luftangriffen der
letzten Kriegsmonate schwer beschädigten Stadt. Bozen hatte als Standort von
Rüstungsbetrieben und als Verkehrsknotenpunkt an der Brennerbahn zahlreiche
Bombenangriffe erlebt, sodaß bis zum Mai 1945 zahlreiche Stadtteile zerstört
waren. Neben Treviso war Bozen die von Luftangriffen am härtesten betrof¬
fene Stadt Oberitaliens, deren Wiederaufbau große Energien und Ressourcen
mobilisierte.43
Kommunikation und Kooperation erwuchsen vor allem aus der allmählich an¬
laufenden regionalen Selbstverwaltung auf der Ebene von Provinz und
Gemeinde. Die Provinz Bozen war auch nach 1945 bei Italien verblieben. Als
Kompensation für die verweigerte Selbstbestimmung stellte das Pariser
Abkommen zwischen Italien und Österreich vom 5. September 1946 immerhin
eine bescheidene Autonomie und den ausdrücklichen Schutz von Sprache und
Kultur in Aussicht.44 Im Februar 1948 wurde eine erste Autonomie für die
Region Trentino-Tiroler Etschland vom Parlament in Rom erlassen; im
Spätherbst desselben Jahres fanden die ersten Wahlen zum neuen Regionalrat
statt. Bereits im Frühjahr war zum ersten Mal der Gemeinderat von Bozen de¬
mokratisch gewählt worden.
In Bozen etablierte sich ab 1948 neben der von Italienern majorisierten
Stadtverwaltung eine mehrheitlich von deutschsprachigen Südtirolern besetzte
Provinzialregierung. Da sie Aufgaben der Gemeindeaufsicht und der Raum¬
ordnung wahmahm, rückten wichtige Handlungsspielräume der Gemeinde¬
verwaltung unter Kontrolle des Landes.
In Bozen waren die Folgen dieser „balance of power“ zwischen zwei prinzipiell
konkurrierenden Institutionen zwar häufig lähmend, sie bewirkte aber auch
einen Lemvorgang auf beiden Seiten.
Denn der Zwang zum Interessenausgleich und zur argumentativen Begründung
der je eigenen Position in demokratischen Institutionen setzte einen zwar oft als
ärgerlich, mühsam und zähflüssig erlebten, dafür aber nachhaltigen Prozeß der
Verständigung zwischen den Volksgruppen in Gang. Annäherung und geduldi¬
43 Vgl. Seberich, Rainer: „Bozen im Schatten des Großdeutschen Reiches“, in: Südtiroler
Kulturinstitut (Hg.): Stadt im Umbruch. Beiträge über Bozen seit 1900, Bozen 1973, S.
108-149, vor allem S. 129-132.
44 Zusammenfassend vgl. Steininger: Südtirol im 20. Jahrhundert, S 361-392, sowie
Gehler, Michael (Hg.): Verspielte Selbstbestimmung? Die Südtirolfrage 1945/46 in US-
Geheimdienstberichten und österreichischen Akten. Eine Dokumentation, Innsbruck 1996
(Schlem-Schriften 302).
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