Was die Entstehung eines spezifisch grenzüberschreitenden Bewußtseins durch
tägliche Berührung mit der Alltags- und Arbeitskultur der deutschen Kollegen
oder der Unternehmenskultur des Betriebes bei französischen Einpendlem be¬
trifft, kommt Kilp (1998) in einer, wenn auch nicht repräsentativen Erhebung
zu einem ebenfalls ernüchternden Ergebnis. Demnach haben auch diese Pendler
nur eine geringe Verbundenheit mit dem übernationalen Raum entwickelt. Die
stärkste Bindung besteht weiterhin an das direkte Wohnumfeld, an zweiter
Stelle an die Heimatregion Lothringen. Nur innerhalb eines max. 10 km breiten
Grenzsaumes Wohnende zeigen Ansätze einer, allerdings schwächeren,
Identifikation mit der Nachbarseite, aber auch dort nur mit einem ebenso
schmalen Grenzsaum.
Enttäuschend sind die Befragungsergebnisse auch mit Bezug auf Elemente, die
Franzosen und Deutsche trennen oder verbinden. Mit 90% der Nennungen stellt
das Gefühl der Zugehörigkeit zum eigenen Nationalstaat das bei weitem stärkste
trennende Element dar, während der vielfach beschworenen gemeinsamen
Mentalität nur ein sehr geringes Gewicht beigemessen wird. Überraschender¬
weise sahen die Befragten das stärkste verbindende Element in den gemeinsam
durchlebten Wirtschaftskrisen! Dies ist aber insofern von Bedeutung, als sich
hier Perspektiven für die Förderung eines grenzüberschreitenden Regional¬
bewußtseins öffnen - etwa durch Projekte, die die gemeinsame industrielle
Kultur oder die Überwindung des schwerindustriellen Erbes thematisieren.
Hinsichtlich der räumlichen Orientierung ihrer Alltagshandlungen scheinen sich
die Grenzpendler von der übrigen Bevölkerung kaum zu unterscheiden.
Grenzüberschreitende Aktivitäten sind vor allem wirtschaftlich motiviert, wo¬
gegen Kultur im weitesten Sinne eine geringe Rolle spielt, zumal gerade bei
Sportveranstaltungen das Nationale meist wichtiger ist als der Sport selbst ...
Daß fehlende Sprachkenntnisse als wichtigstes Hemmnis für die Teilnahme an
der Kultur des Nachbarlandes gesehen werden, erstaunt nicht.
3 Grenzüberschreitende Beziehungen mit Bezug zur Wohnsitzverlagerung
von Saarländern nach Moselle-Est (Funktion Wohnen)
Haben sich andererseits die deutschen Bewohner in Lothringen stärker in das
dortige soziale Leben integriert als die lothringischen Pendler im Saarland?
Bilden sie gar eine Brücke zwischen beiden Kulturen?4 Die Wohnmobilität über
die Grenze hat seit Beginn der 90er Jahre deutlich zugenommen, nicht zuletzt
unter dem Einfluß der Liberalisierung durch die EU. Deutsche, zu 90%
Saarländer, sind bereits in über einem Drittel aller 727 Gemeinden des
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Die nachfolgenden Ausführungen stützen sich vor allem auf die Dissertation von Ramm
(1999a), der wiederum Untersuchungen des SESGAR, einer Abteilung der
Regionalpräfektur Lorraine, zugrunde liegen (SESGAR 1994; Ballschmiede et al. 1998).