Bauordnung könnte aus dem Italienischen oder einem durch das Italienische
geprägten Wortfeld stammen und seinerseits Indiz für städtebauliche Einflüsse
sein, die von Oberitalien nach Riga ausstrahlten. Berücksichtigt man hilfsweise
den Kontext der Bauordnung, dann mag der Meißel gut zum Spitzgiebel
passen, für den man wohl Hausteine benötigte. Die besondere gotische
Giebelgestaltung aus Backsteinen, für die das Zisterzienserkloster Chorin so
vorbildhaft wirkte,61 dürfte im Riga des ausgehenden 13. Jahrhunderts noch
nicht bekannt gewesen sein ... Die Berufsbezeichnung scarpellino (später
scalpellino) taucht im deutschsprachigen Bereich offenbar sonst nicht auf, in
Rigaer lateinischen Quellen ist nur vom lapiscida\lapicida (vor und nach
1340)62 * die Rede, auch die „Älteste Esthländische Landrolle“ aus dem Liber
census Daniae kennt um 1280 einen Henricus Stenhakaer und einen Henricus
Lapicidaßl Gerade die fremde, fast unverständliche Form scarp = scarpellino
im niederdeutschen Text der Bauordnung könnte ein Indiz dafür sein, daß
mindestens ein italienischer Baumeister am Wiederaufbauprogramm der Stadt
Riga beteiligt war. Ein solcher italienischer Handwerker oder Spezialist könnte
im Gefolge päpstlicher Legaten ins Land gekommen und heimisch geworden
sein.64 Der Chronist Heinrich von Lettland berichtet schon von Wilhelm von
Modena, daß er 1225 „mit seinem Gesinde, mit Pilgern und seinem ganzen
Gefolge an die Düna“ gekommen sei.6^ Zeitnäher ist dann in einer Urkunde
des Revaler Bischofs von 1253 ein dominus Hermannus de Terevestevere
sacerdos, und in einer Urkunde von 1294 werden Johannes Teristevere et
Johannes de Ymbria als canonici Revalienses genannt.66 Die Namen Modena,
Siena, Umbrien und schließlich auch das römische Trastevere umreißen damit
einen größeren geographischen und kulturellen Bereich, dessen auch konkrete
Ausstrahlungen bis ins Baltikum, eben auch nach Riga reichten.
*
Den bisherigen Aspekten sei ein letzter hinzugefügt. Ende Juni 1297 wenden
sich Rat und Gemeinde der Stadt Riga an den Lübecker Rat mit der Bitte um
Unterstützung. Grund dafür war eine Fehde mit dem Deutschen Orden wegen
61 Vgl. Josef Adolf Schmoll gen. Eisenwerth: Das Kloster Chorin und die Askanische
Architektur in der Mark Brandenburg 1260-1320, Berlin 1961.
62 Bei Benninghoven (wie Anm. 1) S. 116 mit Nr. 52 und S. 120 Nr. 231 belegt. Zum
Bauhandwerk in Reval s. Johansen, von zur Mühlen (wie Anm. 13) S. 168ff. In Reval
wurden Steinbrecher, Steinhauer und Maurer zusammengefaßt als Steinwerter bezeichnet
(S. 168).
6^ UB 1, Anhang (Beilage zu Sp. 586, vgl. Regest 535) fol. 47 a und fol. 53 a.
64 In Modena hatte 1099 ein Lanfrancus als Dombaumeister gewirkt (Pia-Beatrix
Breitenstein: „Lanfrancus von Modena“, in: Beiträge über Bauführung und Baufinanzie¬
rung im Mittelalter, hg. von Günther В inding, Köln 1974, S. 101-103). Möglicherweise
gab es in seiner Nachfolge hoch qualifizierte Bauleute in dieser Stadt.
65 Heinrich von Lettland (wie Anm. 12) XXIX, 2 - S. 316.
66 UB 1, Nr. 258 und Nr. 553.
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