das Ergebnis aussehen würde. Schon ein flüchtiger Blick auf den Ablauf der Handlung in
den drei andern Stücken zeigt, daß die ‘Sibille’ eine Sonderstellung einnimmt:
Im ‘Herpin’ findet sich zwar der typische Ansatz: der Held wird mit seiner Frau verbannt.
Er hat vor den Augen Karls einen Verleumder erschlagen. Aber der Roman erzählt dann
in einem hochkomplexen, mehrstufigen Handlungsgang mit immer neuen Intrigen und
Verrätereien an immer neuen Höfen die Rückeroberung des Erbes durch Lewe, den
Sohn. Und die Handlung geht danach weiter in die nächste Generation hinein, ja bis zur
übernächsten, da die Söhne Lewes umkommen und gerächt werden müssen.
Im ‘Loher und Maller’ ist es Loher, der Sohn Karls und Sibilles, der verbannt wird. Dies,
weil Neider ihm seinen Erfolg bei den Frauen mißgönnen und gegen ihn intrigieren. Sein
Freund Maller folgt ihm ins Exil. Ein gewisser Ott, mit dem er allzu bedenkenlos die
Identität tauscht, verrät ihn. Der Übeltäter wird aber entlarvt, und Loher heiratet die
Tochter des byzantinischen Kaisers, die Ott sich unter dem falschen Namen zu erschlei¬
chen suchte. Damit verbunden sind Heidenkämpfe. Schließlich kommt es zu einer neuen
Intrige der bösen Räte: Loher wird nach Paris gelockt und entmannt, im Einverständnis
mit dem treulosen Bruder Ludwig. Die Folge ist ein Rachekrieg. Aus Versehen tötet Lo¬
her seinen Freund Maller.
Der ‘Huge Scheppel’ knüpft an den Loher-Roman an. Ludwig hinterläßt nur eine Toch¬
ter, Marie. Huge, als Metzgersproß ein unglaublicher Frauenheld und wilder Kämpfer,
tritt gegen die Höflinge an, die Ludwig vergiftet haben und die sich nun über Marie des
Reichs zu bemächtigen suchen. Mit einer Reihe blutiger Krafttaten und unterstützt von
seinen europaweit gezeugten Bastardsöhnen, geht Huge gegen die Feinde der Krone vor
und heiratet die Erbprinzessin dann selbst. Aber es kommt zu einem Überfall durch die
Verräter, sie bringen Marie in ihre Gewalt, während Huge entwischt. Er kann dann aber
bei der seiner Frau aufgezwungenen Hochzeit im letzten Augenblick eingreifen und die
Übeltäter erschlagen.
Man hat es also auch bei diesen drei Chansons ihren Grundrissen nach mit einem Gegen¬
über zwischen einem von Verrätern durchsetzten Hof oder häufig auch mehreren und ei¬
nem nichthöfischen Bereich zu tun, in den die Helden sich hinausgestoßen sehen oder
dem sie aufgrund ihrer außerhöfischen Geburt vorläufig angehören. Doch jene elementa¬
ren Erfahrungen, die in diesem Bereich in der ‘Sibille’ thematisiert werden und bei denen
sich das Verhältnis von Gut und Böse neu, d.h. jenseits der höfischen Ordnung und ihrer
Zweideutigkeiten, in problemloser, ja geradezu wilder Selbstverständlichkeit darstellt, das
findet sich in den anderen Romanen höchstens in Ansätzen. Insbesondere wird man in
der Handlungswirrnis des ‘Herpin’ vergeblich nach jener klaren Opposition der Bereiche
suchen, wie sie für die ‘Sibille’ charakteristisch ist. Auch die Komik, die als Regulativ ge¬
genüber dem großen Anspruch der neuen Einstellung zu Gut und Böse fungiert und da¬
mit als signifikantes Signal für das Konzept gelten kann, fehlt im ‘Herpin’ und im ‘Loher’
weitgehend. Nur im ‘Huge Scheppel’ ist dieser Aspekt da, und damit deutet sich auch hier
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