sich erst mit seinen herren und seiner Ritterschaft beraten müsse (81r). Das Ergebnis dieser
Beratung wird zwar nicht ausdrücklich erwähnt, aus dem weiteren Verlauf der Erzählung
erhellt jedoch der Hergang der Verhandlungen, an denen offenbar beide Seiten beteiligt
gewesen sein müssen. In einem ersten demonstrativen Akt vergibt Loher seinem Bruder
öffentlich, indem er ihn küßt, und diese Wiedergewährung seiner Huld durch prophylakti¬
sche Zurückweisung möglicher Einwände demonstriert: Wer myr meer von myme bruder saget
der betrübet myr myn hert^e Dann ich hoffen nit das er myr die bosheit getan habe. (82r). Dann folgt
das Ritual der öffentlichen Zerknirschung, symbolisiert durch Ludwigs Tränen und die
ebenso festliegende Geste der Bereitschaft zur vollständigen Unterwerfung. Mit fast den
gleichen Worten, mit denen er zuvor einen Thronverzicht avisiert hatte, bietet Ludwig
nun erneut, diesmal allerdings vor repräsentativer Öffentlichkeit, seine Abdankung an:
Lieber bruder myn künigrich sol din syn. Ich beger nummer nust dar Inn gu han. (82v). Damit gibt er
Loher die Gelegenheit, in einer gleichfalls ritualisierten und dennoch genau kalkulierten
Geste seine milte zu erweisen, indem er das Angebot, scheinbar spontan, großmütig zu¬
rückweist: Bruder sprach Uoher des enwil ich nit. Ir sollent üwer künigrich behalten als ir es bis her ge¬
habt han (82v)26.
Die erneuerte Sühne zwischen Ludwig und Loher stellt aber lediglich den Status quo ante,
also den durch den ersten Friedensschluß bereits einmal erreichten Zustand, wieder her.
Noch immer ungelöst ist demnach das Problem der Nachfolgeregelung, an dem der erste
Ausgleich ja gescheitert war. Der Punkt bedarf nun um so dringender einer Reguüerung,
als sich mittlerweile herausgestellt hat, daß Loher bereits einen Sohn besaß, seine Ent¬
mannung ihren Zweck also verfehlte. Die hierdurch notwendig gewordene Vereinbarung
wird jetzt allerdings nicht wieder nach dem schon einmal gescheiterten Muster einer auf
öffentlichkeitswirksamen, repräsentativen Ritualen basierenden Konfliktbeilegung vorge¬
stellt, sondern als normativer, gleichsam verfassungsrechtlicher Vertrag beschrieben. Zwar
tritt erneut der Papst als Mittler in Aktion, der Ausgleich geschieht nun jedoch - gerade
im Hinblick darauf, daß Ludwig eine Sühnevereinbarung einmal bereits verletzt hatte27 —
in Form eines schriftlich fixierten und schon allein deshalb Dauer und allgemeine Aner¬
kennung implizierenden Vertrages: Ordenung will ich nun hye machen dieymmer vnd allwege soll
rnren, mit diesen Worten umreißt der Papst die Zielrichtung seines Vorgehens (Prag,
107v). Und so wird dann die Bestätigung der päpstlichen Entscheidung über ein deut¬
sches Wahlkaisertum und die Ablehnung des Erbkaisertums als ein wichtige Regeln der
Diplomatik beachtendes, von allen relevanten Parteien besiegeltes Vertragswerk beschrie¬
26 Mit der Versöhnung zwischen Loher und Ludwig wird gleichzeitig eine öffentliche Sühne zwischen
Ludwig und Isenbart, der auf Seiten Lohers gekämpft hatte, geschlossen: Da viele Ysenbart vff knye vor kü-
nig Ludwig vnd sprach, llieber vetter Ich bitten uch han ich uchye erzürnet das ir myr das vercyhent. da verzech Im künig
Lludwig vor allen den die da waren (82v). Den geläufigen Usancen mittelalterlicher Friedensschlüsse nach zu
urteilen, dürfte in der einmal gewährten, dann aber von Isenbart mißachteten Verzeihung eine der Ursa¬
chen für die spätere Unmöglichkeit eines Friedensschlusses zwischen Ludwig und Isenbart hegen.
27 Die folgende Passage fehlt in der Hamburger Handschrift wegen Blattverlusts. Sie wird hier nach der
Prager Handschrift ergänzt: dem bäbste gedaucht die verrätery die Ludwig an simme bruder begangen hant Alß ir vor
gehört hond. Vnd hatte das bedaucht mit sinen wysen raten V'nd vand an Inn vnnd an Im selber söllich vbel sträffen
vnd versorgen das des nimmer not geschehe wann ersere für sichtig was (Prag, 107v).
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