3. Loher und Maller’
Dem ‘Herpin’ vergleichbar, ist auch ‘Loher und Maller’ ein so verwickeltes Werk, daß hier
nicht sämtliche Narradonsstränge auf die genannten Tendenzen hin untersucht werden
können24. In den Blick genommen wird deshalb lediglich der Zentralkonflikt aus dem
mitderen Teil des aus drei Teilerzählungen kompilierten Werks25. Diese Partie ist be¬
stimmt durch die Auseinandersetzung zwischen Loher und Ludwig, den beiden Söhnen
Karls des Großen, von denen der eine, Loher, in die Verbannung gehen muß, gleichwohl
aber auf den byzantinischen Kaiserthron gelangt, während Ludwig seinem Vater als fran¬
zösischer König nachfolgt und römischer Kaiser wird. Daraus resultierende Erbstreitig¬
keiten soll, nachdem beiderseits die generelle Absicht zur Übereinkunft geäußert wurde,
der Papst regeln. Der römische Bischof spricht Ludwig das französische Königtum und
Loher das römische Kaisertum zu, die Versöhnung wird durch den Friedenskuß besiegelt,
doch aufgrund der ungeklärten Nachfolgeregelung bleiben Differenzen zwischen den
Brüdern. Nicht zuletzt deshalb gelingt es schließlich Ludwigs Vertrauten, Lohers alten
Feinden, die einst für seine Verbannung gesorgt hatten, den französischen König zu über¬
reden, das ungeklärte Nachfolgeproblem auf drastische Weise zu regeln: Sie wollen Loher
kastrieren lassen und so dessen Erbenlosigkeit garantieren. Der verräterische Anschlag ge¬
lingt und sorgt selbstverständlich für die Hinfälligkeit der ursprünglich geschlossenen
Übereinkunft. Mit ausdrücklichem Dispens des Papstes nimmt Loher deshalb den Kampf
gegen seinen Bruder auf, der allerdings nicht nur mit militärischen Mitteln geführt, son¬
dern stets von Verhandlungen über eine eventuelle friedliche Lösung begleitet wird. Sie
scheitert jedoch zunächst an den verräterischen Ratgebern, die als die eigentlichen Schul¬
digen für den Anschlag auf Loher präsentiert werden. Eine erneute Versöhnung mit ihnen
ist somit ausgeschlossen, ein diesbezügliches Angebot zur Unterwerfung, zur deditio, lehnt
Loher ab. Erst nachdem sie gefangen bzw. getötet sind, wird der Weg zur Versöhnung
frei. Und nun wird auch klar, warum im Text so großer Wert darauf gelegt wird, Ludwig
als wehrloses Opfer der falschen Ratgeber darzustellen: nur so kann erneut eine gütliche
Sühne mit ihm vereinbart werden, obwohl die erste Aussöhnung nicht eingehalten wurde.
Diese zweite gütliche Einigung zwischen den Brüdern ist wiederum nach dem bekannten
Muster einer klassischen, zwischen beiden Parteien zuvor ausgehandelten, deditio model¬
liert. Nach seiner Gefangennahme erklärt Ludwig sich mit den Worten Lieber bruder nym-
ment ir myn kunickrich Lnd lassent üch yu künig krönen leb ml myns kunigreichs nümmer nüst me be-
gem. (81 r) zum Thronverzicht bereit. Loher nimmt das Angebot jedoch nicht an, da er
24 Ergiebig im Sinne des gewählten Ansatzes wäre etwa die Auseinandersetzung zwischen Loher und Galie,
dem Vater Maliers. Hier wird das Mißlingen der ritualisierten Konventionen des Konfliktmanagements
vorgeführt, da der affektiv handelnde Galie alle entsprechenden Spielregeln verletzt.
25 Zu Aufbau und Komposition ähnlich voluminöser, spätmittelalterlicher französischer Chansons de geste
vgl. Cook, Robert F.: „Unity and Esthetics of the Late Chansons de geste“, in: Olifant 11 (1986), S. 103-
114. Zu den Bearbeitungstendenzen des deutschen Texts im Vergleich zu der (nur fragmentarisch erhal¬
tenen) Französischen Vorlage vgl. Buschinger, Danielle: „Le roman en prose en Allemagne à la Fin du
Moyen Age — ses relations avec la France“, in: I. Kasten / W. Paravicini / R. Pérennec wie (Anm. 10), S.
155-174, hier S. 164-173.
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