Verpflichtungen entbunden zu werden. Seine Ehefrau war jüdischer Abstammung, und
Liepes Mutter war die Tochter eines protestantischen Pfarrers und Berliner Privatdozen¬
ten, der sich als Jude hatte taufen lassen13. Als beamteter Professor war er — in einer soge¬
nannten ,Mischehe£ lebend — nicht mehr zu halten. Warum er mit Wirkung vom 1. No¬
vember an die Philosophische Fakultät der Universität Frankfurt versetzt wurde, dort eine
planmäßige Professur mit normaler Lehrverpflichtung erhielt, aber weiterhin Mitglied des
Kieler Lehrkörpers blieb, ist wegen des Verlusts der Kieler Akten aus dieser Zeit nicht zu
klären14. Mit Schreiben des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erzie¬
hung und Volksbildung vom 13. Januar 1936 an die Philosophische Fakultät der Universi¬
tät Frankfurt am Main wurde Liepe zum 1. März 1936 an die Philosophische Fakultät der
Universität Kiel zurückversetzt. Inzwischen waren die „Nürnberger Gesetze“ in Kraft ge¬
treten. Liepe ist wohl nahegelegt worden, wegen seiner ,Mischehe4 die vorzeitige Emeritie¬
rung zu beantragen. Mit Wirkung vom 1. April 1936 wurde er unter gleichzeitiger Ertei¬
lung eines Forschungsauftrages von den amdichen Verpflichtungen entbunden15. Liepe
wohnte in Frankfurt und erhielt sein Emeritengehalt von der Universitätskasse Kiel bis
Ende 1939 ausbezahlt. Er arbeitete an einem Forschungsprojekt über „Jean Jacques
Rousseau im deutschen Geistesleben“.
Kurz vor Kriegsausbruch erhielt er eine Einladung der Carl-Schurz-Gesellschaft zu einer
Vortragsreise in die Vereinigten Staaten. Er konnte eine Professur für Deutsche Kultur-
und Literaturgeschichte an der Theologischen Fakultät am Yankton College in Süd-
Dakota übernehmen. Frau und Kinder (zwei Söhne und eine Tochter) konnte Liepe nach¬
reisen lassen. Als sein Nachfolger wurde in Kiel Clemens Lugowski berufen. Liepes in
Frankfurt zurückgelassener und eingelagerter Hausrat wurde von der NS-Regierung ver¬
steigert. Die persönlichen Papiere, darunter das Material zu seiner Rousseau-Studie, fielen
im Keller von Freunden den Bomben zum Opfer.
1947 erhielt Liepe einen Ruf als Professor of German an die Universität Chicago. 1952 er¬
laubte ihm ein Forschungsauftrag der „American Philosophical Society“ erstmals wieder
eine Deutschlandreise. Gastvorträge führten ihn an die Universitäten Kiel, Berlin und
Münster, wo er mit einem Hebbel-Vortrag am Germanistentag teilnahm. Im selben Jahr
13 Vgl. Schulz, Wilhelm Eberhard, in: NDB (wie Anm. 6), S. 532.
14 Vgl. die VersetzungsVerfügung des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung
vom 10.11.1934 an die Philosophische Fakultät in Frankfurt (gez. Rust). UA J.W. Goethe-Universität
Frankfurt a.M., Akten der Philosophischen Fakultät. Nach mündlicher Überlieferung in Kiel wurde Lie¬
pe 1933 von Studierenden als ,Jude‘ denunziert. (Frdl. Mitteilung von H. J. Kreutzer, Regensburg). Im
Frühjahr 1933 fand in Kiel ein Ermittlungsverfahren gegen Liepe statt. Der Vorgang ist bis auf einige
Konzepte in schwer lesbarem Stenogramm nicht erhalten. Offenbar wurde Liepe vorgeworfen, Studen¬
ten anderer Kollegen abgeworben zu haben, so daß sie nur noch seine Lehrveranstaltungen besuchten.
Ein Ermittlungsverfahren wurde auf Wunsch Liepes eingeleitet (Aktennotizen vom 15. und 22.5. 1933).
Als Zeugen wurden vom Universitätsrat nach Angaben eines Kollegen (Prof. Fritz Brüggemann) mehre¬
re Studierende vernommen. Vgl. die spärlichen Akten der Christian-Albrechts-Universität Kiel, betr.
Disziplinarsachen der Professoren und Dozenten. Schleswig-Holsteinisches LA, Abt. 47, Nr. 1676.
15 Wie Anm. 14.
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