Full text: Zwischen Deutschland und Frankreich

Der Ton ist dabei durchaus höflich und verbindlich, aber man scheint eine gewisse He¬ 
rablassung herauszuhören, als sei Elisabeth im Bewußtsein ihrer Unschuld an den Vorfäl¬ 
len nun mit ihrer Geduld am Ende und lasse sich nicht mehr in die Rolle der unterwürfi¬ 
gen Bittstellerin drängen. 
[...] So han ich auch gu ettliehen myn und myner kinde hem, magen, frunden, mannen 
und retden geschickt undyn gelegenheidt der Sachen und uwer meynonge und vomemen dun 
vor legen und sij rads daruff dun hijden. Der meynonge ist, ich habe mich ferner, dan ich 
nast gelegen heit solle, geen uch erboden. Und wann ir bedencken wollet, wie ich und myne 
kind und einsdeils unser gemeyner uch und uwerme stiffte bewant und auch wie wir uß un- 
serme slosse und ir, nach dem dg der crieg gerächt ist gewest, darin kommen sint, so verstent 
ir wol, dag ir uns billich gu unserme slosse kommen lassen und uns dg nit entwisen sollent. 
Und betten wir sin mit andern gu schaffen, ir soldent uns beraden und beholffen sin, dg wir 
wider gu unserme erbe qwemen. Ueber here, nü aber ir und ich da von gu fruntlicher de- 
dinge kommen sin und ich uch jn billichen vermoglichen sacken gerne gu willen were, wolde 
ich jn moglicheit uch gu willen ein mitliden han. Jr wissent und verstent aber wol, dg mir 
nit gefuglich noch geburlich ist, mich gu undememen, die gemeyner gu eyme burgfrieden mit 
uch gu sweren gu vermögen, js were dann mityrem willen. Und dwile sij sich auch erbie- 
dent, dg ichyn einen dag bescheid und sij den gijtlich wissen laesse, dg sij sich dann darbij 
fuegen wollen, als vorgerurt ist, so finden ich nit an rade, dg ich und myne kinde uns dar 
über mitglimphe uß unserme burgfrieden von yn geegiehen mögen. [...] 
Diese drei Auszüge aus Beispielbriefen zeigen, daß auch gegenüber demselben Adressaten 
Ton und sprachliche Formulierungen zumindest innerhalb der Narratio sehr unterschied¬ 
lich und vielfältig sein können. Selbst Steinhausen relativiert sein Diktum von der „Un¬ 
freiheit, Unbeweglichkeit und Gleichförmigkeit“ der Briefe des 14. und 15. Jahrhunderts 
in bezug auf die Narratio43, indem er zugibt, daß „der naive Briefschreiber gerade wegen 
seiner Naivität in gewissen Fällen Besseres“ leiste: „Wenn er schildert und ganz bei der 
Sache ist, wenn er sich beklagt und aus verletztem Gemüt heraus spricht, wenn er sich 
verteidigt und sich beleidigt fühlt, findet er einen einfachen und natürlichen Ausdruck sei¬ 
ner Gedanken.“44 So scheint auch der Streit um die Burg Varsberg, der Elisabeth sehr am 
Herzen liegt, weil es um Ehre und Besitz und nicht zuletzt um die Abweisung hoher 
Schadensersatzforderungen geht, den in Alltagsgeschäften vielleicht eintönigen Kanzleistil 
aufzubrechen und individuelle Elemente zu begünstigen. 
5. Fazit: ,Individualität’ in spätmittelalterlichen Briefen 
Wenn sprachbezogen von ,Individualität’ oder ,individuellen Zügen’ die Rede ist, kann 
sich dies entsprechend der Stilistik als sogenannter Individualstil äußern. Einen solchen 
könnte man zum Beispiel bei auffälliger Kontinuität bestimmter makrostilistischer Ele¬ 
43 Steinhausen: Geschichte des deutschen Briefes (wie Anm. 1), S. 56-61. 
44 Steinhausen: Geschichte des deutschen Briefes (wie Anm. 1), S. 61. 
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